Das große Problem des größten Talents

Saarbrücken · Der neue Olympia-Zyklus beginnt, der Verteilungs-Kampf um Fördergelder ist im Gange. Auch im Saarland müssen sich einige Verbände neu aufstellen, Ziele für 2020 definieren. Die SZ beleuchtet ihre Situation.

 Ringer Etienne Kinsinger kämpfte sich bei der Junioren-WM, trotz Platzwunde am Kopf, bis zur Silbermedaille. Foto: Caliskan/DRB

Ringer Etienne Kinsinger kämpfte sich bei der Junioren-WM, trotz Platzwunde am Kopf, bis zur Silbermedaille. Foto: Caliskan/DRB

Foto: Caliskan/DRB

2004 waren sie noch zu dritt: Konstantin Schneider, Jurij Kohl und Jannis Zamanduridis. 2008 blieb nur noch Schneider übrig. 2012 und 2016 war kein saarländischer Ringer mehr bei den Olympischen Spielen dabei. Und schnell gerät eine Sportart, die im Land verwurzelt ist wie kaum sonstwo in der Republik, ins Hintertreffen.

Das soll sich ändern. Schon 2020 bei den Spielen in Tokio. Und dafür verfolgt Frank Hartmann, der Landestrainer des Saarländischen Ringerverbandes, längst eine neue Strategie. Nicht mehr eingebürgerte Athleten, wie einst Schneider oder Kohl, sollen zu den Sommerspielen gebracht werden, sondern eigene Talente. Von denen gibt es nicht wenige. Mohammed Yasin Yeter, Gennadij Cudinovic, aber keiner verkörpert die Hoffnungen auf eine Olympia-Teilnahme und internationale Erfolge so sehr wie der Köllerbacher Bundesliga-Ringer Etienne Kinsinger.

Drei internationale Medaillen

"Ich weiß, dass viele Leute auf mich setzen. Wenn der Erfolg da ist, dann sind die Augen auf einen gerichtet. Aber ich mag die Lobeshymnen eigentlich gar nicht", sagt der 19-Jährige. Wehren aber kann er sich nicht. Zu gut ist seine Entwicklung, zu gut war das Jahr 2016. "Ich kann mich nicht beschweren. Anfang des Jahres hätte ich nie gedacht, an drei internationalen Meisterschaften teilnehmen zu dürfen", sagt er rückblickend. Und bei der Teilnahme allein blieb es ja nicht: Kinsinger gewann Silber bei der U20-WM, Bronze bei der U20-EM und Bronze bei der U23-EM. Drei internationale Medaillen in einem Jahr - das ist ein Novum im saarländischen Ringen.

Mit seinen Erfolgen geht Kinsinger nicht hausieren. Dafür ist er nicht der Typ. Selbst der durchaus berechtigte Stolz geht in der Analyse seines Wettkampfjahres beinahe unter. Hätte er nicht sein Abitur gemacht, wäre die gesamte Jahresplanung anders verlaufen, erklärt er. "Ich hatte gehofft, für ein Olympia-Qualifikationsturnier nominiert zu werden. Beim zweiten von den dreien hätte ich starten können, weil Deniz Menekse sein Gewicht nicht geschafft hat. Aber da war ich mitten im Abitur . Für das dritte wurde dann Erik Weiss nominiert. Der Deutsche Ringer-Bund hatte ihm größere Chancen eingeräumt." Geschafft hat er es nicht. "Ich ziemlich sicher auch nicht", sagt Kinsinger.

Stattdessen fuhr er die "Junioren-Schiene" und trauert im Nachhinein nur der Chance nach, die Erfahrung einer Qualifikation nicht gesammelt zu haben. Denn Junioren und Männer - da bestehen gewaltige Unterschiede. Deswegen wünscht sich Kinsinger auch ein wenig Geduld, denn die bisherigen Erfolge ließen sich nicht eins zu eins in den Männer-Bereich übertragen: "Es geht für mich bei Null los. Zunächst einmal will ich die Nummer eins werden in meiner Gewichtsklasse bei den Männern."

Was machbar klingt, ist im Falle von Kinsinger keineswegs selbstverständlich. Denn das Toptalent hat im Saarland ein Riesenproblem, das aktuell nicht gelöst ist. Kinsinger hat ein super Umfeld, einen Trainer, auf ihn setzt, er startet an der Universität des Saarlandes - auf Empfehlung seiner Schwester Lea-Janine - ein Studium in Wirtschaft und Recht, kann dank der Kooperation der Uni mit dem Olympiastützpunkt auf besondere Unterstützung, etwa bei Prüfungsterminen, hoffen. Es könnte alles perfekt sein, wenn ihm nicht ein entscheidender Faktor fehlen würde: ein Trainingspartner.

Kinsinger, der international in der 59-Kilo-Klasse im griechisch-römischen Stil ringt, hat im Land keinen adäquaten Partner. "Das gleiche Gewicht ist für das Bewegungsgefühl notwendig", sagt Kinsinger: "Ist der Gegner gerade im Training schwerer, arbeitet der eigene Körper automatisch mit mehr Kraft, um dagegen zu halten. Diese Probleme hatte ich in der Vergangenheit schon."

Vor der Junioren-WM hatte der Deutsche Ringer-Bund Fabian Schmitt aus Nürnberg, der in der Bundesliga für Adelhausen ringt, nach Saarbrücken beordert, dies auch bezahlt. Es war eine Maßnahme speziell für die WM. Nur was geschieht jetzt, wo der neue Zyklus Richtung Tokio beginnt, der kontinuierliche Leistungsaufbau im Fokus stehen sollte? "Ich weiß es nicht. Ich hoffe, dass es eine Lösung geben wird. Das wäre enorm wichtig", sagt Kinsinger, der Trainingspartner teilweise auch schon selbst bezahlen musste.

Kinsinger betont, dass er auf Tokio hinarbeite, dass er sich bewusst für das Studium in Saarbrücken entschieden habe, um weiter leistungsorientiert ringen zu können, dass er so lange wie möglich Leistungssport betreiben wolle. Vielleicht aber ist Tokio seine erste und einzige Chance.

Abitur mit 1,0

Denn Kinsinger erfüllt so gar nicht das Ringer-Image. Ein reines Profi-Dasein, was etwa über die Sportfördergruppe der Bundeswehr möglich wäre, ist nichts für ihn. Sein Abitur bestand er am Gymnasium am Rotenbühl in Saarbrücken , der Eliteschule des Sports, mit der Note 1,0. Sein Horizont endet nicht am Mattenrand. "Ich werde den beruflichen Weg nie aus dem Auge verlieren", sagt Kinsinger, der im Journalismus Fuß fassen möchte: "In einen neuen Olympia-Zyklus zu gehen, allein auf die Karte Ringen zu setzen, nur um Olympia zu erleben, das würde ich nicht machen. Da wäre mir das Risiko zu groß, auf beruflichem Weg zurückzubleiben. Wenn ich die Chance zur beruflichen Orientierung habe oder ein Job-Angebot, dann war's das. Denn vom Ringen werde ich nicht leben können."

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