Handball-EM in Kroatien Das Debakel hinterlässt deutliche Spuren

Varazdin · Der Deutsche Handball-Bund kündigt nach dem EM-Aus eine schonungslose Analyse an. Der Bundestrainer steht aber nicht zur Debatte.

 Die pure Enttäuschung: Steffen Fäth (Mitte) und seine Teamkollegen verlassen nach der Pleite gegen Spanien das Feld.

Die pure Enttäuschung: Steffen Fäth (Mitte) und seine Teamkollegen verlassen nach der Pleite gegen Spanien das Feld.

Foto: dpa/Monika Skolimowska

Schwer gezeichnet vom blamablen EM-Aus traten Deutschlands Handballer um den angezählten Bundestrainer nach einer kurzen Nacht die vorzeitige Heimreise an. Zwar hält der Deutsche Handball-Bund (DHB) trotz des sportlichen Debakels in Kroatien vorerst an Christian Prokop fest, doch auf dem Weg zur Heim-WM 2019 muss und will der Verband in den kommenden Wochen alle Personalien hinterfragen. „Der Trainer steht für mich nicht zur Disposition“, sagte DHB-Vizepräsident Bob Hanning gestern: „Das Ziel ist es, mit ihm weiterzumachen.“

In den kommenden vier bis sechs Wochen wird der DHB die verkorkste Europameisterschaft, die nach dem enttäuschenden neunten Platz nach dem Achtelfinal-Aus bei der WM zum zweiten sportlichen Reinfall innerhalb von zwölf Monaten wurde, intensiv aufarbeiten – Ausgang offen. „Im Vorjahr haben wir auf eine Analyse verzichtet, weil es danach einen Umbruch gab. Dieses Mal werden wir das sehr ehrlich und hart mit uns ausmachen müssen, mit den Trainern, dem Präsidium und der Mannschaft“, kündigte Hanning an und stellte klar: „Es gibt eine unverhandelbare Vision: Wir wollen eine WM-Medaille und Olympia-Gold. Das werden wir ab heute angehen.“

Prokop, der einen Vertrag bis 2022 besitzt, schließt einen freiwilligen Rückzug aus. „Ich mache mir überhaupt keine Gedanken über einen Rücktritt, weil auch ich Großes vorhabe“, betonte der 39-Jährige. Dafür will er künftig keine Kompromisse eingehen – wenn man ihn lässt. „Ich habe eine klare Vorstellung von einer Spielphilosophie. Ich möchte eine Mannschaft sehen, die mit viel Tempo spielt und nicht ausrechenbar ist“, formulierte der Bundestrainer seinen eigenen Anspruch.

Dem wurde die deutsche Auswahl bei der EM nie gerecht. Der entthronte Europameister war nur ein Schatten der Glanztage von Polen, wo sich die Mannschaft vor zwei Jahren als unerschütterliche Einheit präsentiert hatte. Nun droht ein Rückfall in alte Zeiten. Nach dem desaströsen Auftritt beim 27:31 gegen Spanien, den fast sechs Millionen TV-Zuschauer in der Heimat mitverfolgten, saßen die Spieler noch lange zusammen. „Wir haben intensiv darüber gesprochen. Es gab aber keine Beschlüsse oder Entscheidungen“, berichtete Kapitän Uwe Gensheimer.

Die Frage lautet: Auf welche Spieler setzt Prokop künftig, sollte der Verband an ihm festhalten. Denn atmosphärische Störungen zwischen Trainer und Team waren in den Tagen von Kroatien nicht zu übersehen – auch wenn dies öffentlich niemand zugeben wollte. Doch es gab hitzige Diskussionen, Indiskretionen und eine latente Unzufriedenheit. „Das, was hier passiert ist oder nicht passiert ist, werden wir auswerten und dann mehr dazu sagen“, kündigte DHB-Präsident Andreas Michelmann vielsagend an.

Auch Prokop ließ erkennen, dass er auf einige Dinge nicht vorbereitet war. „Ich habe hier viele negative Erfahrungen gemacht“, räumte er ein. Von einem Zerwürfnis mit der Mannschaft wollte er aber nichts wissen: „Die Chemie war nicht so, wie es desöfteren nach außen dargestellt wurde.“ Aber: Viele Leistungsträger, etwa Kapitän Gensheimer, riefen ihr Potenzial nicht ab.

 Trainer Christian Prokop schließt einen Rücktritt aus.

Trainer Christian Prokop schließt einen Rücktritt aus.

Foto: dpa/Monika Skolimowska

Und auch der Trainer, den der DHB im Vorjahr für 500 000 Euro aus dem Vertrag beim Bundesligisten SC DHfK Leipzig herausgekauft hatte, machte bei seinem ersten Großturnier eklatante Fehler. Erst unterschätzte Prokop die Auswirkungen der Nicht-Nominierung von Finn Lemke, dem Abwehrchef und emotionalen Leader, die intern und extern hohe Wellen schlug. Dann sorgte er mit stetigen Personalwechseln für zusätzliche Unruhe im Team. Ein Jahr vor der Heim-Weltmeisterschaft steht der Deutsche Handball-Bund nun an einem Scheideweg.

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