Rückblick auf die ersten Monate des LSVS-Skandals Der Finanzskandal wird zur politischen Affäre

Saarbrücken · Was geschah nach Bekanntwerden des Finanzskandals beim Landessportverband? Die SZ blickt zurück auf die ersten Monate.

 Im Fokus: Klaus Meiser wird in den ersten Monaten des Jahres 2018 immer mehr zum Gesicht des Finanzskandals. Er tritt im Februar zunächst als Landtagspräsident zurück, später auch als LSVS-Chef. Hier sieht man ihn mit seinem Präsidium bei einer Krisensitzung am 18. Januar 2018.

Im Fokus: Klaus Meiser wird in den ersten Monaten des Jahres 2018 immer mehr zum Gesicht des Finanzskandals. Er tritt im Februar zunächst als Landtagspräsident zurück, später auch als LSVS-Chef. Hier sieht man ihn mit seinem Präsidium bei einer Krisensitzung am 18. Januar 2018.

Foto: Thomas Wieck

Freitag, 22. Dezember 2017: Nebel hängt über der Hermann-Neuberger-Sportschule, als die Polizei am Morgen vorfährt. Beamte des Dezernats für Besondere Ermittlungen und Korruption steigen aus einem anthrazitfarbenen Kleinbus. Sie werden die Geschäftsstelle des Landessportverbandes für das Saarland (LSVS) durchsuchen, sieben Stunden lang. Seit einer Woche ist bekannt, dass der Dachverband des Saarsports (2100 Vereine, 370 000 Mitglieder) massive Finanzprobleme hat, seit Jahren zu viel Geld ausgibt. LSVS-Präsident Klaus Meiser hat sofort einen möglichen Verantwortlichen benannt: Paul Hans, den langjährigen Hauptgeschäftsführer. Gegen Hans ermittelt nun die Staatsanwaltschaft, es besteht der Anfangsverdacht der Untreue. Bei ihm klingelt an diesem Morgen ebenfalls die Kripo. Doch: Schon jetzt werfen die Ermittler auch ein Auge auf das LSVS-Präsidium. Als sich im Laufe des Tages ein LSVS-Anwalt über die Razzia an der Sportschule beklagt, schließlich habe man sämtliche Unterlagen zur Verfügung gestellt, entgegnet die Staatsanwaltschaft: Laut § 9 der LSVS-Satzung sei in erster Linie das Präsidium für die Einhaltung des Haushalts verantwortlich. Deshalb könne nicht erwartet werden, dass Beweismaterial, das Hans entlastet, freiwillig und vollständig zur Verfügung gestellt werde.

Donnerstag, 4. Januar 2018: Die LSVS-Spitze trifft sich zu einer Krisensitzung. Präsident Meiser hatte am 18. Dezember, nach den ersten Berichten über den Finanzskandal, einen Zwölf-Punkte-Plan präsentiert. Darin wird unter anderem Transparenz gegenüber Medien angekündigt. Tatsächlich beantwortet die Geschäftsstelle keine Anfragen mehr, angesichts der laufenden Ermittlungen fungieren Anwälte als Pressesprecher. Hans darf sich gegenüber Journalisten nicht äußern, sein Arbeitgeber entbindet ihn nicht von der Schweigepflicht. Auf die Recherchen unserer Zeitung reagiert der LSVS, indem er eine „klarstellende Erklärung“ an „Freundinnen und Freunde des Saarsports“ versenden lässt. In dem dreiseitigen Papier ist von einer „zweifelhaften Presseberichterstattung“ die Rede. Meiser wird im Namen des Präsidiums ein „hervorragendes Krisenmanagement“ bescheinigt.

Donnerstag, 11. Januar: Klaus Meiser tritt im saarländischen Landtag vor die Presse. Es ist ein ungewöhnlicher Termin für einen Parlamentspräsidenten. Im Innenausschuss hat Meiser als LSVS-Chef die Millionendefizite des Verbandes erläutert. Als des „Pudels Kern“ stellt er einen „systematischen Planungsfehler im Wirtschaftsplan“ der Sportschule dar – ein internes Zahlenwerk, welches das Präsidium nie gesehen haben will. Meiser sagt: „Es ist deutlich sichtbar, dass der Hauptgeschäftsführer das Problem rollierend über alle möglichen Maßnahmen abgefangen hat.“ So müsse ein Drei-Millionen-Baukredit neu aufgenommen werden. „Die Gelder sind weg“, sagt Meiser.

Noch Fragen? Die Journalisten sprechen den Politiker auf seine Lebensgefährtin an. Meiser soll die Frau, die im Landtag als seine Büroleiterin arbeitete, auch beim LSVS angestellt haben – für 1200 Euro monatlich, am Personalrat vorbei. Auch die Zustimmung des Präsidiums erscheint fraglich, es soll 2015 bei einer Klausurtagung von der Beschäftigung erfahren haben. Doch ein Funktionär sagt unserer Zeitung, die Frau sei als Ansprechpartnerin im Landtag vorgestellt worden. Ähnlich steht es im Sitzungsprotokoll. Daher hat das Präsidium jetzt in einem zweiten Protokoll festgehalten, Meiser in der Personalie damals Prokura erteilt zu haben. Meiser sagt zum Nebenjob seiner Freundin: „Hätte ich geahnt, welches Diffamierungspotenzial sich daraus ergibt und wie das zur Diffamierung genutzt wird, hätten wir das nicht gemacht.“

Donnerstag, 18. Januar: Sie haben lange geschwiegen. Nun äußern sich nach Meiser auch die übrigen Präsidiumsmitglieder zum Skandal. „Wir haben alles im Griff“, sagt Eugen Roth, der als Präsident des Handball-Verbandes Saar der LSVS-Führung angehört, nach einem Krisentreffen mit den Chefs etlicher Sportverbände. Auf rote Zahlen in den Jahresabschlüssen angesprochen, sagt LSVS-Vize Franz Josef Kiefer: „Ich bin doch nicht gewählt worden, um Bilanzen zu prüfen, sondern um den Sport zu organisieren und voranzubringen.“

Mittwoch, 7. Februar: Der Landtag hebt die Immunität der Politiker Meiser (CDU) und Roth (SPD) auf. Somit kann gegen die beiden Führungsfiguren des LSVS ermittelt werden. Die Staatsanwaltschaft interessiert sich neuerdings für die Geburtstagsfeier von Innenminister Klaus Bouillon am 20. November 2017 in der Mensa der Sportschule. Das LSVS-Präsidium hatte sich im Vorfeld „einstimmig einverstanden“ erklärt, „die Kosten für die Dienstleistungen und die Getränke“ zu übernehmen, heißt es in einem internen Protokoll. Die Ermittler werten das als strafbare Vorteilsgewährung. Jetzt steht nicht mehr nur Geschäftsführer Hans in ihrem Fokus. Der LSVS weist den Verdacht zurück: Man habe bei der Feier die Gästeliste mitbestimmt, so dass etliche Vertreter aus dem Sport eingeladen worden seien.

Kripobeamte haben im Ministerbüro einen Fragenkatalog abgegeben, Bouillon will ihn beantworten. „Ich habe nichts zu verbergen oder zu verheimlichen“, sagt er. Bouillon gibt an, die Kostenübernahme abgelehnt zu haben. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass ihm am Ende nicht die tatsächlichen Kosten in Rechnung gestellt wurden. Intensiv widmet sie sich der Frage, was genau es auf der Feier zu essen gab.

Persönliche Konsequenzen zieht zunächst nur Roth, er verlässt am 8. Februar das Präsidium des Sportverbandes. Der frühere Polizeibeamte plädiert dafür, die Aufklärung des Skandals „in externe und neutrale Hände“ zu übergeben.

Rosenmontag, 12. Februar: Klaus Meiser tritt als Landtagspräsident zurück. Es ist ein Schritt, der sich über Fastnacht angebahnt hat. Die neuen Ermittlungen bedeuten eine unerwartete Wendung, der Finanzskandal entwickelt sich zu einer politischen Affäre. Die Opposition im Landtag hat in den vergangenen Tagen den Rücktritt Meisers gefordert. „Wir glauben, dass es jetzt geboten ist, einen klaren Strich zu ziehen“, sagte Linken-Fraktionschef Oskar Lafontaine. Auch aus der eigenen Partei ist Meiser zum Rückzug aufgefordert worden. Er hat sich mit der CDU-Spitze beraten, man habe „sehr offen“ mit ihm gesprochen, heißt es anschließend im Parteiumfeld. Die Erwartung ist angeblich klar: Nach Fastnacht soll Meiser sich erklären. Es folgt: ein politischer Rosenmontag.

Donnerstag, 8. März: Wer sich für den Saarsport interessiert, gewöhnt sich an ein neues Wort: Verstärkungsfonds. Im März 2016 hatte der Aufsichtsrat von Saartoto beschlossen, die Kultur in der Region jährlich mit 250 000 Euro zusätzlich zu fördern. Da meldete sich auch LSVS-Präsident Meiser, um dem Sport den gleichen Betrag zu sichern. Meiser saß damals im Aufsichtsrat der staatlichen Lotteriegesellschaft, die zu drei Siebteln dem LSVS gehört. Das Kontrollgremium beschließt, was mit den Mitteln aus dem Verstärkungsfonds geschieht. Im Juli 2016 verständigen sich die Aufsichtsräte laut Protokoll, die „Errichtung eines Bundesstützpunktes Tischtennis im Saarland“ mit 90 000 Euro zu fördern.

Tatsächlich leitet der LSVS den Betrag an den Tischtennis-Erstligisten 1. FC Saarbrücken weiter – für den deutschen Nationalspieler Patrick Franziska. Meiser bestätigt das am 8. März im Innenausschuss. Er verteidigt die Förderung des Spitzensportlers: „Wir brauchen sportliche Erfolge, um unseren Standort zu stabilisieren.“ Der Verstärkungsfonds beschäftigt auch die Staatsanwaltschaft. Die Ermittler spüren Barschecks nach, mit denen Mittel aus dem Fonds verteilt worden sein sollen – durch Politiker von CDU und SPD. Einer von ihnen: der für Sport zuständige Minister Bouillon.

Montag, 12. März: Das LSVS-Präsidium entmachtet sich selbst, es ernennt den Anwalt Franz J. Abel zum Konsolidierungsberater. Damit erfüllt man eine Forderung des Innenministeriums, der Rechtsaufsicht des Sportverbandes. Ende Februar soll das Ministerium erstmals von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit des LSVS erfahren haben, es erwartet nun eine Reaktion, gedroht wird mit einem Staatskommissar. Nach vier Tagen zieht Abel sich zurück. „Um weiteren Schaden, auch von meiner Person abzuwenden sowie auf die Integrität meiner Person gestütztes Vertrauen nicht weiter externen Belastungen auszusetzen, sehe ich mich zu diesem Schritt gezwungen“, teilt er mit. Seine Kanzlei vertritt auch Meiser, deshalb hagelt es Kritik, die Anwaltskammer prüft einen Interessenkonflikt.

Montag, 23. April: Um 19.19 Uhr erhält die SZ-Redaktion überraschend Post vom Anwalt. Am 19. März hat der Jurist Michael Blank das Amt des Chef-Sanierers beim Landessportverband übernommen. Doch der Konsolidierungsberater meidet die Öffentlichkeit, auf Presseanfragen reagiert er nicht – bis zu diesem Abend. In einer E-Mail präsentiert er erstmals Zahlen. Und die haben es in sich: Das strukturelle Defizit des LSVS betrage 2,5 Millionen Euro, die Sportschule erwirtschafte einen Verlust in Höhe von 4,2 Millionen Euro. Allein die Mensa soll ein Minus von 678 000 Euro verursachen. Gegenüber der Sportplanungskommission, der 22,75 Prozent der Lotterie-Millionen zustehen, über die sich der LSVS finanziert, bestünden Verbindlichkeiten in Höhe von 8,5 Millionen Euro. Die Liquidität des Verbandes sei bis zum 29. Juni sichergestellt. Dennoch heißt es: „Der LSVS ist aus eigener Kraft sanierbar, wenn tiefe Einschnitte vorgenommen werden, sodass ein ausgeglichener Haushalt 2018 präsentiert werden kann.“

Sonntag, 29. April: Klaus Meiser lässt seinen Rücktritt als LSVS-Präsident mitteilen. Sein Anwalt erklärt: „Der Druck auf meinen Mandanten war enorm hoch. Aus persönlichen Gründen und im Interesse des LSVS stellt er jetzt sein Amt zur Verfügung.“

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