Britanniens Hoffnung

Melbourne. Auf den Titelblättern in ganz Britannien ist es in überdimensionaler Größe zu sehen. Ein ausdrucksstarkes Bild, das Andy Murray als wilden Tennis-Straßenkämpfer zeigt. Murray brüllt sich die Freude nach einem Wunderschlag beim Endspieleinzug in Melbourne aus dem Körper, hat die Augen und den Mund weit aufgerissen

Melbourne. Auf den Titelblättern in ganz Britannien ist es in überdimensionaler Größe zu sehen. Ein ausdrucksstarkes Bild, das Andy Murray als wilden Tennis-Straßenkämpfer zeigt. Murray brüllt sich die Freude nach einem Wunderschlag beim Endspieleinzug in Melbourne aus dem Körper, hat die Augen und den Mund weit aufgerissen. Es ist keins der betulichen Bilder, das man sonst vom Tennis kennt auf der Insel. Es ist eher eine Chiffre dafür, wie revolutionär sich Tennis mit Murray verändert hat im Vereinigten Königreich. Mit dem Mann, der Sonntagmittag seinen ersten Grand Slam-Titel holen will. Murray ist anders als sein Vorgänger Tim Henman, ein aristokratischer Typ aus Oxford, eher blasiert, steif, vornehm und emotional untertemperiert. Murray ist ein unberechenbarer Typ: Langweilig neben dem Centre Court, doch als Spieler mitreißend und genial im Auftritt. Tennis mit Murray ist wie ein Rockkonzert, bei dem es kracht und lärmt. "Alles ist drin bei ihm: Komödie und Tragödie. Selten aber eine schlechte Show", sagt der Ex-Weltranglisten-Erste Jim Courier, der in Melbourne für "Channel Seven" im Einsatz ist. Murray wirkt fern des Arbeitsplatzes so, als ginge ihn der Lauf der Dinge nichts an, als wäre er ein Müßiggänger und kein Hochleistungssportler. Seine Energie scheint er sich ganz für den Centre Court aufzubewahren, für die Augenblicke, die zählen und ihm wichtig sind. Dort, im Rampenlicht, ist er ein erlesener Techniker, der die unglaublichsten Effetschläge produzieren kann - kaum weniger eindrucksvoll als Maestro Roger Federer. Und auf eben jenen Federer trifft er am Sonntag. Nur der Schweizer steht dem ersten Grand Slam-Titel für Murray und Britannien seit der kleinen Ewigkeit von 74 Jahren im Weg. "Das Endspiel kann kommen", sagt Murray.Aber es wird schwer werden - vor allem wenn Federer am Sonntag so spielt wie in seinem Halbfinale gegen den Franzosen Jo-Wilfried Tsonga. In knapp anderthalb Stunden demütigte die Nummer eins der Welt seinen Gegner und gewann mit 6:2, 6:3, 6:2. "Das war Federer in seiner ganzen Einmaligkeit", sagte Experte Jim Courier, "ein großer Meister am Werk." Mit dem Sieg im 23. Grand Slam-Halbfinale hintereinander landete der 28-Jährige nun schon im 22. Endspiel bei einem der vier kostbaren Tennistermine der Saison. Kein anderer Spieler hat jemals so viele Endspiele erreicht. Und Federer scheint extrem locker. "Murray trägt die große Last auf den Schultern, nach 150 000 Jahren oder so einen Titel für die Briten zu holen", ulkte er nach seiner Gala. Der Sonntag kann kommen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort