Bloß nicht an den Bosporus

Belek · Die Türkei war einst das Lieblings-Ziel deutscher Profi-Clubs für ein Trainingslager in der Winterpause. Doch das hat sich radikal geändert. Die Sicherheitslage beunruhigt. Und die Politik vor Ort stößt ab.

 Der frühere türkische Nationaltrainer Abdullah Avci betreut Basaksehir. Foto: suna/dpa

Der frühere türkische Nationaltrainer Abdullah Avci betreut Basaksehir. Foto: suna/dpa

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Im Sommer ist es die Badehochburg zigtausender Touristen, im Winter tummelten sich die Fußball-Bundesligisten. Die Kleinstadt Belek an der türkischen Riviera, die Türkei generell, war die Fußball-Dependance Nummer eins in Winterzeiten. Allein 16 der 36 aktuellen Bundesliga-Mannschaften schlugen noch im Januar ihr Wintertrainingslager in der Türkei auf. Doch damit ist Schluss: Nach einem unruhigen Jahr wird 2017 kein deutscher Profi-Club mehr in das Land am Bosporus reisen.

Gertjan Verbeek, Trainer des Zweitligisten VfL Bochum , sprach den Grund aus: "Wir fliegen nicht in die Türkei. Mit Erdogan will ich nichts zu tun haben." Durch die Politik des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan driftet das Land am Bosporus zusehends in eine Autokratie ab. Seit dem Militärputsch im Juli kam es in der Türkei zu Tausenden Entlassungen und Verhaftungen - was sich nun auch auf Belek auswirkt. Auf einer Vielzahl von Rasenplätzen konnte dort bei solidem Wetter trainiert werden. Der nächste Testspiel-Gegner war nie weit - und das alles zu einem erschwinglichen Preis. "Diese Region hat sich auf die Trainingslager spezialisiert. Das Gesamtpaket mit kurzer Anreise und den tollen Trainingsplätzen ist optimal", lobte der damalige Sportvorstand des VfB Stuttgart , Robin Dutt , noch Ende 2015.

Aber auch Sicherheits-Aspekte spielen für die Vereine eine Rolle. 2016 kam es in der Türkei zu Dutzenden Anschlägen. Im Juni starben 48 Menschen bei einem Attentat auf den Istanbuler Flughafen. Und erst vergangene Woche gab es Anschläge nahe des Stadions von Besiktas Istanbul . Ein Grund, warum der Hamburger SV sich nicht mehr in der Türkei auf die Rückrunde vorbereiten wird. "Wir haben uns dieses Jahr auch aufgrund der unsicheren politischen Lage in der Türkei gegen ein Trainingslager in Belek entschieden", teilte die Presseabteilung mit. Stattdessen fliegt der Bundesligist nach Dubai, ins Land seines Hauptsponsors Emirates .

Profiteur der Situation ist vor allem die iberische Halbinsel. Viele Vereine wählen als neue Destination Spanien. Erstligist RB Leipzig und Zweitligist VfB Stuttgart schlagen ihre Zelte in Lagos in Portugal auf. Bundesligist Darmstadt 98 reist in die Nähe von Alicante. "Es ist selbstredend, dass die Türkei ausfällt", teilte Interimstrainer Ramon Berndroth die Sicht des Vereins mit: "So optimal wie in der Türkei wird es nicht mehr sein, weil es in Europa keinen Ort gibt, wo 50 Mannschaften sind, wo man immer spielen kann. Das ist aber der Preis der politischen Situation."

Dabei ist die Provinz Antalya, zu der auch der 7000-Einwohner-Ort Belek gehört, auf den Tourismus und die Besuche der Clubs in der Winterpause angewiesen. Aber die Gäste bleiben weg. "In diesem Jahr bestand bei der Türkei das Risiko, dass es schwierig werden könnte, Gegner für Testspiele zu finden, weil sehr wenige Clubs dort ihr Trainingslager beziehen", teilte Erstligist Borussia Mönchengladbach mit.

Gar nicht erst wegfahren werden 1899 Hoffenheim, der FC Ingolstadt und der 1. FC Köln. Letzterer bleibt im Rheinland - in der Hoffnung, dass das Wetter mitspielt. Zum Rückrundenstart Ende Januar habe man auch keine 28 Grad, sagte Trainer Peter Stöger.So langsam muss man sich an den Anblick der Tabelle der türkischen Süper Lig gewöhnen. Bereits seit zwölf Spieltagen thront dort keiner der Istanbuler Vereine Besiktas, Fenerbahce oder Galatasaray, die normalerweise den Titel unter sich ausmachen, sondern Medipol Basaksehir. Die Mannschaft von Trainer Abdullah Avci überzeugt mit erfrischendem Offensivfußball und ist noch unbesiegt. "Auch wenn Basaksehir keine großen Stars hat, ist es eine exzellente Mannschaft", schrieb der ehemalige Schiedsrichter Ahmet Cakar für die Zeitung "Sabah".

Während die drei Großen der Liga regelmäßig auf der Jagd nach ausländischen Spielern mit großen Namen sind, bedient sich Basaksehir gerne an der Resterampe der namhaften Nachbarn. Kapitän und Führungsspieler Emre Belözoglu, schon 36 Jahre alt, bekam bei Fenerbahce keinen neuen Vertrag mehr und musste gehen.

Torjäger Mehmet Batdal, 30, konnte sich einst bei Galatasaray nicht durchsetzen, und der erfahrene Abwehrchef Yalcin Ayhan, 34, hatte vor seinem Wechsel zu Basaksehir eigentlich schon bei Besiktas angeheuert, wurde dort aber nach Protesten der Fans nach wenigen Tagen weggeschickt.

Trotz des Erfolgs polarisiert der Verein, der erst 2014 als Nachfolger von Istanbul Büyüksehir Belediyespor gegründet wurde und kaum Anhänger hat. Vor allem aufgrund seiner Nähe zur islamisch-konservativen Regierungspartei AKP und zum Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan gilt er bei Beobachtern als Paradebeispiel für die zunehmende Politisierung des türkischen Fußballs.

Vereinspräsident Göksel Gümüsdag ist mit einer Nichte der Ehefrau Erdogans verheiratet. Bei der Hochzeit war der Staatspräsident Trauzeuge. Für den Bau des 2014 fertig gestellten Fatih-Terim-Stadions bekam das Unternehmen Kalyon den Zuschlag, dessen Eigentümer als enger Vertrauter Erdogans gilt. Gleiches gilt für den Inhaber des Krankenhaus-Betreibers Medipol, der als Hauptsponsor und Namensgeber des Vereins fungiert. Zum Eröffnungsspiel des neuen Stadions lief Erdogan persönlich auf. Die Rückennummer 12, die er dabei trug, wird seitdem an keinen Spieler mehr vergeben.

Wie sich diese Nähe zwischen Politik und Verein außerdem auswirken kann, zeigte sich kürzlich bei einem Thema, das eigentlich mit Fußball nichts zu tun hat. Da die türkische Lira immer mehr an Wert verliert, rief Erdogan zuletzt das Volk dazu auf, vorhandene Devisen in Lira umzuwandeln, um die Landeswährung zu stabilisieren. Wenige Tage danach gab Basaksehir bekannt, alle Spieler und Mitarbeiter nicht mehr in Dollar , sondern nur noch in Lira zu bezahlen. Und auch die wenigen Anhänger - 2000 Fans im Durchschnitt - werden ermuntert, den Vorgaben der Regierung Folge zu leisten. Wer etwa bis zum Heimspiel morgen gegen Trabzonspor den Nachweis erbringt, mindestens 50 Dollar in türkische Lira umgetauscht zu haben, bekommt freien Eintritt.

Zum Thema:

Auf einen Blick Die Regionalligisten SV Elversberg und 1. FC Saarbrücken absolvieren im Unterschied zum Vorjahr kein Trainingslager in der Türkei. Die SVE wird Ende Januar/Anfang Februar nach Andalusien in Spanien fliegen. Der FCS hat sich entschieden, in Deutschland zu bleiben - er ist von 30. Januar bis 3. Februar an der Sportschule Duisburg-Wedau. Dagegen macht sich der FC Homburg, im Vorjahr noch in Spanien, auf in die Türkei. Der genaue Termin steht noch nicht fest. "Sicherheitsbedenken haben wir nicht. Und das Preis-Leistungs-Verhältnis ist in der Türkei nun mal unschlagbar", sagt Sport-Vorstand Angelo Vaccaro. cor/rti

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