Belohnung für seine Leiden

Mont-Saint-Michel · Nach seinem schweren Sturz zum Auftakt der 100. Tour de France und seinen Qualen an den ersten Tagen, hat sich Tony Martin selbst beschenkt. Der Cottbuser gewann gestern das Zeitfahren vor Christopher Froome.

Viereinhalb Stunden musste Tony Martin zittern, dann hatte der Zeitfahr-König Gewissheit: Der deutsche Radprofi hat sich bei der 100. Frankreich-Rundfahrt mit dem Sieg auf der elften Etappe für seine "Tour der Leiden" entschädigt. Der Favorit gewann das 33 Kilometer lange Rennen gegen die Uhr zwischen Avranches und Mont-Saint-Michel vor Christopher Froome und belohnte sich für seine außergewöhnlichen Nehmerqualitäten nach dem schweren Sturz zum Auftakt auf Korsika.

Für Martin war es nach seinem Zeitfahr-Triumph 2011 in Grenoble der zweite Tageserfolg bei der Großen Schleife. "Am Ende hatte ich furchtbare 30 Minuten. Ich habe nicht damit gerechnet, dass Chris so nah an mich herankommt", sagte der Mann von Omega Pharma-Quick Step. Völlig entkräftet hatte sich Martin, der um 12.36 Uhr als 65. von 182 Fahrern auf den Kurs gegangen war, im Ziel auf den Boden geworfen. Der gebürtige Cottbuser hatte einen Schnitt von 54,271 km/h in den Asphalt gebrannt und zeigte sich vorsichtig optimistisch. "Ich habe alles in die Waagschale geworfen und bin mit der Zeit zufrieden. Ich hoffe, es reicht für den Sieg", sagte Martin, der damit den drittschnellsten Wert hinlegte, der bei einem Tour-Zeitfahren über 20 Kilometer Länge je erreicht wurde.

Lange musste der 28-Jährige zittern, als sein größter Konkurrent Froome auf der Strecke war. Am Ende war der Gesamtführende aber zwölf Sekunden langsamer und wurde Zweiter. Froome, der als letzter Fahrer ins Rennen gegangen war, vergrößerte dennoch seinen Vorsprung im Klassement. Seine spanischen Verfolger Alberto Contador (Saxo) und Alejandro Valverde (Movistar) verloren jeweils über drei Minuten.

Martin beendete derweil den Tour-Fluch. Stark blutend beendete er die erste Etappe nach einem Zusammenstoß mit Sprinter André Greipel. Martin biss auf die Zähne, quälte sich bandagiert über die ersten Tage und sorgte nun für den vierten deutschen Erfolg bei der diesjährigen Tour nach den Siegen von Marcel Kittel (zwei) und Greipel. "Natürlich war ich besonders motiviert nach der ersten Woche. Ich war voll fokussiert auf den heutigen Tag", sagte Martin.

Bereits heute könnte es den nächsten deutschen Tageserfolg geben. Auf der 218 Kilometer langen zwölften Etappe von Fougères nach Tours dürften die Top-Sprinter Kittel und Greipel im erwarteten Massensprint um den Sieg mitfahren. Einer ihrer härtesten Konkurrenten wird dabei mit Wut im Bauch an den Start gehen. Ex-Weltmeister Mark Cavendish wurde gestern Opfer eines unappetitlichen Zwischenfalls. Ein Zuschauer hatte ihn mit Urin bespritzt. Etappensieg und das erste Gelbe Trikot in Bastia, zweiter Tagessieg in Saint Malo: Marcel Kittel ist nach elf Tagen der erfolgreichste Fahrer der 100. Tour de France. Extravaganzen sind ihm dennoch fremd. Mit seiner freundlichen Art kommt der Thüringer auch in Frankreich an. Die "L'Équipe" feierte ihn als "Aufsteiger" und nannte ihn den "Alptraum" des Erfolgssprinters Mark Cavendish.

Auch Stunden nach seinem Triumph in Saint Malo vor dem deutschen Sprinter-Platzhirsch André Greipel stand er im bescheidenen Fahrerhotel am Stadtrand Rede und Antwort. Der 25-Jährige beantwortete bereitwillig zum zigsten Mal dieselben Fragen. "Auf diesen Sprint bin ich stolz - heute hatte ich einen unheimlichen Bumms auf der Kette", sagte Kittel, der im ersten Doppelerfolg deutscher Radprofis bei der Tour de France seit 13 Jahren knapp die Nase vorne hatte.

Die Feier nach dem großen Sieg fiel bescheiden aus. "Vielleicht ein Bierchen, aber wir gehen nicht irgendwie aus oder so", erklärte der große Blonde aus Arnstadt. Der Kapitän des niederländischen Argos-Shimano-Rennstalls, der im Vorjahr als Zweitligist noch auf Wildcards für große Rennen angewiesen war, hat bei der so glücklich laufenden Jubiläums-Tour noch einiges vor. "Unsere Bilanz übertrifft zwar schon jetzt unsere Erwartungen bei Weitem, aber für uns Sprinter kommen ja noch weitere interessante Etappen", meinte Kittel. Zum Beispiel heute, morgen und am Samstag auf dem Weg nach Tours, Saint-Amand-Montrond und Lyon sowie zum Abschluss vielleicht auch auf den Champs Elysées in Paris. "Das wäre natürlich die Krönung", sagte Kittel, der in der Sprintwertung um das Grüne Trikot deutlich hinter dem Führenden Peter Sagan zurückliegt.

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