Der Mann mit dem feinen Fuß Begnadet, aber noch ohne großes Turnier

Berlin · Ilkay Gündogan ist ein herausragender Fußballer, hat aber noch nie eine EM oder WM bestritten. Im Sommer soll es endlich soweit sein.

Leroy Sanés Urteil war vernichtend. „Ich mag Ilkay als Typ überhaupt nicht“, sagte der Nationalspieler über seinen Kollegen Ilkay Gündogan und verzog keine Miene. „Dann beruht das schon mal auf Gegenseitigkeit“, knurrte Gündogan zurück. Dieses verbale Duell vor dem zweiten Teil des WM-Härtetests gestern Abend in Berlin gegen Brasilien (bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht beendet) war natürlich nicht ernst gemeint.

Gündogan schätzt seinen Mitspieler bei Manchester City sehr und kann den Jungstar gut analysieren: Sané brauche „manchmal einen Tritt in den Allerwertesten“, sagte er. Aber auch Sané schätzt Gündogan sehr. Nicht nur, weil ihm sein Nachbar, der im gleichen Gebäude wohnt, in England die Eingewöhnung erleichtert hat.

„Fußballerisch ist er ein klasse Spieler. Jedes Mal, wenn ich ihm im Training zugucke, sage ich: Wow, ich kann das nicht so machen wie er“, sagte Sané (zehn Länderspiele, kein Tor) am Sonntag in Berlin. Gündogan, dem Mann mit dem Wow-Effekt, schmeichelte das Lob sichtlich. Zumal es sich da nicht nur um die nett gemeinten Worte eines Freundes handelte: Sané gab die Meinung der gesamten Nationalmannschaft bis hoch zum Bundestrainer wieder.

In den WM-Plänen von Joachim Löw hat Gündogan einen festen Platz – als Herausforderer der weltmeisterlichen „K und K“-Monarchie im Mittelfeld mit Toni Kroos und Sami Khedira. Wenn nicht doch noch etwas dazwischen kommt, wird Gündogan, der 2012 bei der EM ohne Einsatz geblieben war, im Sommer bei der WM in Russland sein erstes Spiel bei einem großen Turnier bestreiten. Wenn.

Über seine lange Leidenszeit mit kaputtem Rücken, herausgesprungener Kniescheibe und gerissenem Kreuzband spricht Gündogan nicht so gerne. Er will nicht mehr auf dieses traurige Kapitel reduziert werden, das ihn WM 2014 und EM 2016 gekostet hatte. Aber vorsicht walten lassen, um das WM-Ticket nicht zu gefährden? Nicht mit ihm. „Das wäre nicht der richtige Ansatz“, sagte er, „wenn ich auf dem Platz stehe, gebe ich Vollgas.“ Immer. Auch gestern. Löw gab ihm als Vertreter des angeschlagenen Khedira eine Einsatzgarantie. Es war erst das 24. Länderspiel des 27-Jährigen.

Über seine Rolle als Herausforderer mache er sich „nicht zu viele Gedanken“, sagte Gündogan. Wie jeder andere habe er den Anspruch zu spielen, aber Erfolg und Qualität einer Mannschaft hingen auch davon ab, mehr als elf Topspieler zu haben. Das beweise derzeit besonders City. Dort ist der ehemalige Dortmunder unter Pep Guardiola zur unverzichtbaren Größe gereift. Der frühere Bayern-Trainer schätzt Gündogan als „außergewöhnlichen Mittelfeldspieler mit einer großen Persönlichkeit“. Als er ausfiel, habe er Manchester „sehr gefehlt“.

Das Gute am Fußball sei ja, sagte Gündogan am Sonntag und wurde dabei fast philosophisch, „dass es immer eine zweite, dritte Chance gibt“. Er sprach über Brasilien, das irgendwann Revanche nehmen möchte für das 1:7 gegen die DFB-Elf im Halbfinale 2014. Doch es war ein Satz, der auch auf seine Karriere zutrifft. Im Sommer, in Russland, wird es so weit sein. „Es wäre extrem schön, bei der WM dabei zu sein“, sagte Gündogan, der gerne eine Art Mentor für Sané ist. Und wenn es in diesem Sommer in Russland klappt, darf sein Kumpel Sané auch gerne wieder flachsen und sticheln.

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