Auf zum Gänsehaut-Gefühl

Saarbrücken · Erst bei der Leichtathletik-EM in Amsterdam gelang Laura Müller mit der deutschen 4x400-Meter-Staffel die Qualifikation für Rio. Allerdings muss sich die 20-Jährige bis zum Abflug nach Brasilien noch gedulden.

 Laura Müller kniet im Startblock – noch an der Hermann-Neuberger-Sportschule in Saarbrücken, am 19. August dann im Olympiastadion in Rio de Janeiro. Foto: Schlichter

Laura Müller kniet im Startblock – noch an der Hermann-Neuberger-Sportschule in Saarbrücken, am 19. August dann im Olympiastadion in Rio de Janeiro. Foto: Schlichter

Foto: Schlichter

Usain Bolt will sie genau beobachten. Wie er sich aufwärmt, wie er seine Konzentration findet, den Tunnel vor dem Wettkampf. Der Sprint-Star aus Jamaika hat Laura Müller schon vor acht Jahren begeistert. Damals war sie zwölf, "an Leistungssport habe ich da noch nicht gedacht". Aber die Leichtathletik hat sie fasziniert, als sie die Sommerspiele 2008 in Peking im Fernsehen verfolgt hat. Bolt holte damals sein erstes Gold-Triple - die Siege über 100 Meter, 200 Meter und mit der 4x100-Meter-Staffel. "Die ganze Welt hat ihm zugeschaut - und die Freude und Lockerheit gesehen", erinnert sich Müller.

Saison nicht reibungsfrei

2012 in London legte Bolt ein olympisches Gold-Triple nach, 2016 in Rio will der 29-Jährige den Hattrick schaffen - und Laura Müller, die unbedarfte 400-Meter-Läuferin aus Dudweiler, ist dabei. Mittendrin in dieser Faszination Olympia. "Olympia - das ist für mich Gänsehaut-Gefühl", sagt die 20-Jährige, obwohl sie noch gar nicht weiß, was auf sie zukommt. Aber zumindest ihre Vorstellungen versucht sie zu sortieren. "Ich habe mit ganz vielen darüber gesprochen. Und alle haben gesagt, dass es so besonders ist", sagt Müller.

Einen ersten Eindruck wird sie sich in der ersten Olympia-Woche vor dem heimischen Bildschirm verschaffen können. Erst am 12. August steigt sie in den Flieger nach Brasilien, da ist die Hälfte schon rum. Müllers Auftritte mit der 4x400-Meter-Staffel beschränken sich auf das Schlusswochenende der Sommerspiele - mit dem Vorlauf am 19. August und einem möglichen Finale am 20. August. Am 21. ist nach der Schlusszeremonie schon alles vorbei.

Dass sie die Eröffnungsfeier und die ersten Tage nicht live vor Ort erleben wird, das ist Laura Müller ziemlich egal. Die Freude, überhaupt dabei zu sein, überstrahlt alles. Zumal ihre Saison nicht ganz reibungsfrei verlaufen ist. Nach dem guten Saisoneinstieg beim heimischen Pfingstsportfest in Rehlingen (52,97 Sekunden) und einem Meeting in Hengelo (52,77) musste Müller krankheitsbedingt zehn Tage pausieren. Der Rhythmus mitten im Leistungsaufbau war komplett weg - und damit auch die Chance, die Olympia-Einzelnorm (51,90) zu unterbieten. "Am Anfang war ich schon traurig, aber das Leben ist kein Wunschkonzert. Das ist abgeschlossen. Selbst wenn ich es geschafft hätte, hätte ich in Rio keine Finalchance. Der Fokus wäre so oder so auf der Staffel gewesen", sagt Müller.

Seit den deutschen Meisterschaften in Kassel (53,03), die mit Rang drei endeten, geht es bei der 20-Jährigen aufwärts. Bei der EM in Amsterdam schafft sie mit Lara Hofmann, Friederike Möhlenkamp und Ruth Spelmeyer die Qualifikation für Olympia. "Das war eine supergute Erfahrung", sagt Müller über ihre erste internationale Meisterschaft bei den Aktiven: "Als Staffel sind wir richtig zusammengewachsen."

Die Läuferinnen treffen sich zu den Essenszeiten, machen einen gemeinsamen Ausflug in Amsterdam. Müller hebt den Teamgedanken immer wieder hervor, auch wenn natürlich jede für sich den 400-Meter-Lauf bestreitet und die Wechsel nicht ganz so bedeutend sind wie in der Sprintstaffel über 4x100 Meter. "Wenn eine patzt, ist auch mein Lauf nichts wert. Wir gewinnen zusammen, wir verlieren zusammen. Egal wer wie schnell läuft. Jeder gibt alles. Und jeder versucht, auf seiner Position keine Fehler zu machen", erläutert Müller.

Finale wäre "ein Traum"

Ihre Position ist die Nummer eins, die Startläuferin. Und das hat einen guten Grund. "Ich laufe gerne in meiner Bahn", sagt Müller: "Ich mag das Gerangel nicht so gerne." Ab der zweiten Runde beginnt dieses nämlich, und da fehlt Müller einfach die Erfahrung im Vergleich zu ihren Kolleginnen. "Ich würde da vielleicht eher einen Fehler machen, mal stolpern oder einen Armhieb abkriegen, der entscheidende Zehntelsekunden kosten kann", sagt sie: "Und außerdem bin ich froh, wenn ich es schnell hinter mir habe und die anderen anfeuern kann."

Die offizielle Zielvorgabe für die Staffel lässt sich nicht an einer Platzierung festmachen, was Müller gut findet. "Wir wollen einfach alles geben, dann können wir uns keinen Vorwurf machen", sagt sie. Wozu das reicht, ist - trotz Platz fünf bei der EM - schwer vorherzusagen. Viele Staffeln sind bislang nicht in Bestbesetzung gelaufen, auch das deutsche Quartett hat noch Luft nach oben. "Wir bleiben realistisch. Das Finale zu erreichen, wäre ein Traum. Einfach unvorstellbar", sagt Müller. 16 Staffeln sind qualifiziert, jeweils acht in einem Vorlauf. Die ersten Drei jedes Laufes plus zwei weitere Zeitschnellste kommen weiter.

Um da dabei zu sein, muss jede deutsche Läuferin am Limit sein. Vor allem Laura Müller. Und ihre Formkurve zeigt nach oben. Am vergangenen Wochenende wurde sie erstmals deutsche U23-Meisterin, verbesserte ihre Saisonbestmarke auf 52,50 Sekunden. Heute startet sie in Mannheim. Die Generalprobe vor dem Abflug. Vor dem Abenteuer. Vor dem Treffen mit den Stars der Sportwelt. Mit Usain Bolt .

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