Auf der Suche nach echten Führungsspielern Weltmeisterschaft statt Turnier in Merzig

Kristianstad. Vorbilder gibt es einige. Mannschaften, die den Vorstellungen von Handball-Bundestrainer Heiner Brand fast hundertprozentig entsprachen. Die eine klare Struktur aufwiesen, in denen anerkannte Führungspersönlichkeiten kraft ihrer Autorität die typischen Probleme, die in einer größeren Gruppe auftreten, erst gar nicht entstehen ließen oder unaufgeregt lösten

 Michael Kraus (links) und Pascal Hens sollen die deutsche Handball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Schweden anführen. Aber ihre Leistungen zuletzt waren wechselhaft. Foto: dpa

Michael Kraus (links) und Pascal Hens sollen die deutsche Handball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Schweden anführen. Aber ihre Leistungen zuletzt waren wechselhaft. Foto: dpa

Kristianstad. Vorbilder gibt es einige. Mannschaften, die den Vorstellungen von Handball-Bundestrainer Heiner Brand fast hundertprozentig entsprachen. Die eine klare Struktur aufwiesen, in denen anerkannte Führungspersönlichkeiten kraft ihrer Autorität die typischen Probleme, die in einer größeren Gruppe auftreten, erst gar nicht entstehen ließen oder unaufgeregt lösten. Die Mannschaft von 2002 bis 2004 war eine solche. Vorbilder wie Christian Schwarzer, Daniel Stephan oder Markus Baur nahmen Brand damals Arbeit ab, weil sie genauso dachten wie der Gummersbacher. Weil sie dieselbe Mentalität an den Tag legten.

Vor dem Spiegel der jüngeren deutschen Handball-Geschichte wird deutlich, wo die Probleme der Mannschaft liegen, die heute im schwedischen Kristianstad gegen Ägypten in die Weltmeisterschaft startet (18 Uhr/ARD). "Wir haben keine Führungsspieler mehr", sagt Daniel Stephan, der heute den Zweitligisten HSG Düsseldorf managt. Und er benennt die Defizite, mit denen die Rückraumspieler zu kämpfen haben. Dieser Mannschaftsteil ist deswegen so zentral, erklärt Stephan, weil hier die meisten Partien entschieden werden.

Brand hält dem entgegen, dass Nationalmannschafts-Kapitän Pascal Hens (HSV Hamburg), genannt "Pommes", inzwischen die Funktion von Schwarzer und Co. übernommen hat. "Pommes ist einer, zu dem die Jungen aufschauen. Er wird seinen Einfluss auf die Mannschaft geltend machen", sagt der Bundestrainer. Hens erklärt, er wolle "für gute Stimmung sorgen". Und dass er in der Mannschaft eingreifen werde, "wenn es die Situation denn erfordert". Der Haken an der Sache ist, dass Hens in der Hinserie der Bundesliga kaum zu Einsatzzeiten beim HSV Hamburg gekommen ist, weil ihm der Kroate Blazenko Lackovic vorgezogen wurde. Hens, der nach der Ausbootung von HSV-Mannschaftskollege Torsten Jansen durch Brand nun mit 175 Länderspielen der erfahrenste deutsche Profi ist, muss sich zunächst auf sein eigenes Spiel konzentrieren.

In den meisten Fällen regieren die zentralen Aufbauspieler nicht nur die Angriffskonzepte, sondern auch die Mannschaft. Stephan hat diesen Idealtypus eines Regisseurs lange Zeit verkörpert. Der heute beste deutsche Nationalspieler auf dieser Position ist an dieser Aufgabe während der Europameisterschaft 2010 in Österreich grandios gescheitert: Michael Kraus (HSV Hamburg). Seine Qualitäten sind die Torgefährlichkeit, der schnelle Antritt, der blitzartige Armzug. Aber als Führungsfigur taugt er, wie er selbst einräumt, nicht. Auf die Frage nach dem Kapitänsamt, das er nach der EM an Hens abgegeben hat, antwortet er: "Lass uns über das nächste Thema reden."

Rein sportlich nehmen der Halbrechte Holger Glandorf vom TBV Lemgo und der Halblinke Lars Kaufmann von Frisch Auf Göppingen neben Hens und Kraus den wichtigsten Part im Rückraum ein. Doch auch Glandorf "ist eher leise" (Stephan) und hat wie Kaufmann eine Verletzung hinter sich. Ob die Substanz beider Profis für die hohe Schlagzahl eines WM-Turniers ausreicht, wird sich zeigen. Vor dem Hintergrund der Probleme betrachtet Ex-Kapitän Stephan allein die Torhüter als Führungsfiguren. "Im Tor haben wir echte Typen", sagt er: "Ich wünschte mir, nur einer davon wäre Feldspieler."Lund. Eigentlich hätte er den ägyptischen Nachwuchs beim Victor's Cup für A-Jugend-Nationalmannschaften kurz vorm Jahreswechsel in Merzig betreuen sollen. Schließlich hatte er die Mannschaft auch zur Goldmedaille bei den Olympischen Jugendspielen in Singapur geführt. Doch plötzlich kam alles anders für Jörn-Uwe Lommel. Der 52-jährige frühere Bundesliga-Trainer des TV Niederwürzbach (1993 bis 1998) und der Füchse Berlin (2005 bis 2009) ist seit zwei Monaten wieder für Ägyptens A-Nationalmannschaft zuständig. Wie schon von 2003 bis 2005. "Mein Vorgänger hat leider im Februar vergangenen Jahres daheim gegen Tunesien das Finale der Afrika-Meisterschaft verloren - und der Verband entschied sich für einen Schnitt", erläutert Lommel, der den Auftrag hat, Ägypten unter die besten Zehn des Welthandballs zu führen.

"Wir wollen ein leistungsstarkes Team für die Olympischen Spiele 2016 aufbauen. Die WM 2011 ist für unsere jungen Leute die richtige Bühne, um sich unter Druck zu bewähren", sagt Lommel. Allerdings erwartet er keine Wunderdinge in Schweden. Zumal die Mannschaft zu den jüngsten im Turnier gehört - mit einem Altersdurchschnitt von 22,8 Jahren. Lommel erklärt: "Noch heute wird in Ägypten vom vierten Platz bei der WM 2001 gesprochen, aber zwischenzeitlich ist in der Nachwuchsarbeit ein Loch entstanden - und das rächt sich. 26- bis 30-jährige Spieler auf internationalem Niveau findet man bei uns kaum." red

Handball-WM

Vorrunde:

Gruppe A:

Frankreich - Tunesien Fr, 18.00 Uhr

Deutschland - Ägypten Fr, 18.15 Uhr

Spanien - Bahrain Fr, 20.15 Uhr

Gruppe B:

Island - Ungarn Fr, 17.00 Uhr

Norwegen - Japan Fr, 19.10 Uhr

Österreich - Brasilien Fr, 21.30 Uhr

Gruppe C:

Kroatien - Rumänien Fr, 18.00 Uhr

Dänemark - Australien Fr, 20.15 Uhr

Serbien - Algerien Fr, 20.45 Uhr

Gruppe D:

Schweden - Chile :

Südkorea - Argentinien Fr, 18.15 Uhr

Polen - Slowakei Fr, 20.15 Uhr

Hintergrund

Handball-Bundestrainer Heiner Brand hat einen Tag vor dem WM-Auftaktspiel gegen Ägypten Torhüter Carsten Lichtlein vom TBV Lemgo aus dem Aufgebot gestrichen. Das gab er gestern bei einer Pressekonferenz im schwedischen Kristianstad bekannt. Zudem überlegt Brand, zum offiziellen Nominierungstermin heute um neun Uhr nur 15 statt der erlaubten 16 Spieler zu benennen. "Das kann sein", sagte der Bundestrainer. Streichkandidat wäre dann Rechtsaußen Patrick Groetzki von den Rhein-Neckar Löwen. dpa

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