Serie: Saarländer im Profi-Fußball Auch die Besten erleben ein Auf und Ab

Saarbrücken · Fünf Saarländer haben es bis an die Spitze gebracht. Das Beispiel Philipp Wollscheid zeigt, dass es nicht immer schön ist, Profi zu sein.

 Philipp Wollscheid im Zweikampf.

Philipp Wollscheid im Zweikampf.

Foto: picture alliance / dpa/Peter Steffen

Philipp Wollscheid ist ein Profi. Der Innenverteidiger des Fußball-Bundesligisten VfL Wolfsburg beherrscht auch das verbale Defensivspiel. Zwar veröffentlichte die "Bild"-Zeitung neulich einige Flüche, die Wollscheid im Training von sich gegeben haben soll. Das passte nur zu gut ins Bild eines Unzufriedenen, das in dieser Saison immer wieder von dem 28-Jährigen gezeichnet wird. Doch im SZ-Interview kehrt Wollscheid zurück zum kontrollierten Satzbau. Ohne Risiko.

Mal spricht er in der ersten Person über sich. Dann schaltet der Saarländer von "ich" zum sicheren "man" um. "Im Laufe einer Karriere gibt es Situationen, die nicht so angenehm sind, weil du letztendlich immer wieder von dem Trainer, von einer einzelnen Person abhängig bist", sagt Wollscheid: "Das kann schon frustrierend sein, aber das bringt der Job mit sich. Das wird man auch nicht ändern können, dem muss man sich anpassen und weiter seine Arbeit sauber machen." Diese allgemeinen Lehrsätze über den Profi-Fußball könnte Wollscheid problemlos unter einen Erfahrungsbericht setzen. Thema: Meine Saison in Wolfsburg.

Ende August kam Wollscheid auf Leihbasis von Stoke City in die VW-Stadt. Nach eineinhalb Jahren als Stammspieler in der englischen Premier League schien es der frühere Nationalspieler in Deutschland noch einmal wissen zu wollen. Für ihn bedeutete der Wechsel auch eine Rückkehr zu Dieter Hecking - dem Trainer, der ihm beim 1. FC Nürnberg zum Durchbruch verholfen hatte. Doch unter dem Strich stehen nur sechs Einsätze in der Bundesliga - unter drei Übungsleitern.

Neben Wollscheid spielen mit Mike Frantz, Jonas Hector und Patrick Herrmann drei weitere Saarländer in der höchsten deutschen Spielklasse. Anders als ihr "Landsmann" gelten sie in ihren Clubs als feste Größen.

Frantz fungiert beim SC Freiburg als Vize-Kapitän und verlängerte kürzlich seinen bis 2018 laufenden Vertrag - bis wann, wurde nicht bekannt. Sein Engagement sei stets beachtlich, lobte die "Badische Zeitung". Am Samstag könnte sich Frantz mit dem SC für die Europa League qualifizieren. Und das als Aufsteiger.

Hector steht für die Renaissance des 1. FC Köln, der in der Tabelle zwei Punkte hinter Freiburg rangiert - mit Blick auf den Europapokal. Aus der Nationalmannschaft ist der Außenverteidiger (27 Länderspiele) ebenfalls nicht mehr wegzudenken.

Herrmann erlebte bei Borussia Mönchengladbach eine Verletzung nach der anderen, fehlte nach Berechnungen der "Rheinischen Post" zwischen Oktober 2015 und Januar 2017 nicht weniger als 218 Tage. In der Rückrunde feierte er eine beachtliche Rückkehr, erreichte mit der Borussia das Halbfinale des DFB-Pokals.

Fehlt in der Reihe der besten Saarländer im Profifußball noch Kevin Trapp: Der Torhüter gewann 2016 mit Paris St. Germain die französische Meisterschaft und den Pokal, verlor danach seinen Stammplatz. Mittlerweile steht der Rimlinger wieder regelmäßig im Tor, schaffte mit PSG den Einzug ins Achtelfinale der Champions League. Der Rest ist Geschichte: Trotz eines 4:0 im Hinspiel schied Paris nach einem epischen Rückspiel beim FC Barcelona (1:6) aus. Immerhin: Ende April erhielt Trapp eine Nominierung als bester Torwart der Ligue 1. Die Preisverleihung fand gestern Abend statt (bei Redaktionsschluss nicht beendet).

Hector ist der einzige Topspieler aus der Region, in dessen Laufbahn (noch) kein Auf und Ab erkennbar ist. Wohl bei keinem erscheinen dagegen die Ausschläge so groß wie bei Wollscheid. Nicht nur in der jüngeren Vergangenheit. Seine Karriere widerspricht der Logik einer engmaschigen Nachwuchsförderung - er wurde von keinem Proficlub entdeckt. Ähnlich sahen die Anfänge von Frantz und Hector aus. Frantz musste in der Oberliga bei Borussia Neunkirchen vor dem Training als Malerlehrling schuften. Hector arbeitete sich in Köln über die zweite Mannschaft nach oben. Sie alle sind Selfmade-Profis.

Zur Legende von Wollscheid gehört ein Rat, den sie ihm 2009 beim 1. FC Saarbrücken gaben: Er solle sich auf sein Studium konzentrieren. Da war er 19 Jahre alt, an der Uni für Physik eingeschrieben. Wollscheid lebte im Studentenwohnheim in Dudweiler, hatte es immerhin in die Oberliga nach Saarbrücken geschafft. Doch der FCS bot ihm nur noch einen Vertrag für die zweite Mannschaft an. Was nun? "Natürlich habe ich mir Gedanken gemacht, mich aber entschlossen, mich nicht entmutigen zu lassen und alles zu versuchen, um in den Profi-Fußball zu kommen", erzählt er. Alles, das hieß zunächst: Er rief Spielerberater Guido Nickolay an, der ihm ein Probetraining in Nürnberg vermittelte - bei den Amateuren.

Es folgte ein wundersamer Aufstieg: Beim "Club" wurde Wollscheid überraschend Stammspieler in der Bundesliga. 2012 sicherte sich Bayer Leverkusen seine Dienste. Ein Jahr später debütierte er auf einer USA-Reise in der Nationalmannschaft. Doch: "2013 kamen dann die ersten kleinen Knicke rein", gibt Wollscheid offen zu. Leverkusen lieh ihn zuerst an den FSV Mainz 05 aus, danach zu Stoke City. Die Engländer verpflichteten ihn 2015 für angeblich 3,8 Millionen Euro - und gaben ihn nach Wolfsburg ab. Dort erlebte Wollscheid in dieser Runde drei Trainer: Auf Dieter Hecking folgte Valerien Ismael, schließlich der Niederländer Andries Jonker. Ismael suspendierte ihn, im Februar ließ Wollscheid sich zu den Amateuren in die Regionalliga versetzen. Ehe ihn Jonker im Abstiegskampf zurückholte.

 Der Gladbacher Patrick Herrmann hatte diese Saison lange verletzungsbedingt pausieren müssen. Foto: Becker/dpa

Der Gladbacher Patrick Herrmann hatte diese Saison lange verletzungsbedingt pausieren müssen. Foto: Becker/dpa

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 Jonas Hector vom 1. FC Köln ist in der Bundesliga und der Nationalmannschaft fest etabliert. Foto: Becker/dpa

Jonas Hector vom 1. FC Köln ist in der Bundesliga und der Nationalmannschaft fest etabliert. Foto: Becker/dpa

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Wie gelingt es da, das eigene Leistungsvermögen einzuschätzen? "Es ist schwer, einen neutralen Blick darauf zu behalten", erklärt Wollscheid: "Wenn jemand frisch reinkommt, wird er gehypt und besser gemacht, als er vielleicht ist. Wie das möglicherweise bei mir auch der Fall war. Und dann hat man Phasen, in denen es eine Seitwärtsentwicklung gibt, in denen man nicht so spielt und schlechter gemacht wird, als man ist." Wo Wollscheid in der nächsten Saison spielen wird? Bald dürfte es für ihn an der Zeit sein, in die Offensive zu gehen.

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