An der Schwelle zum Tod

St. Wendel. Blondes, glattes Haar fällt lange auf die Schultern von Gritt Liebing. Trifft man die schlanke 45-Jährige an einem guten Tag, wirkt sie gesund und vital - Lebensfreude pur. Hat sie jedoch einen schlechten Tag, kann es passieren, dass sie einem unter den Händen wegstirbt. "Ich wurde in den letzten zehn Jahren mehr als 200 Mal reanimiert", sagt Liebing

St. Wendel. Blondes, glattes Haar fällt lange auf die Schultern von Gritt Liebing. Trifft man die schlanke 45-Jährige an einem guten Tag, wirkt sie gesund und vital - Lebensfreude pur. Hat sie jedoch einen schlechten Tag, kann es passieren, dass sie einem unter den Händen wegstirbt. "Ich wurde in den letzten zehn Jahren mehr als 200 Mal reanimiert", sagt Liebing. Sie leidet am Brugada-Syndrom, einer seltenen, genetisch bedingten Erkrankung des Herzens. Das bleibt immer wieder mal stehen, und dieser Stillstand führt zum Tod. "Dann lädt mein Defibrilator auf und gibt 800 Volt ab", erzählt Liebing.

Eine schier unglaubliche Geschichte, die vor zwölf Jahren begann. Beim Training für ihren ersten Marathon sendete ihr Körper unbekannte Signale. "Nach einer langen Einheit, die über zwei Stunden hinausging, hatte ich abends plötzlich so ein Stolperherz", erinnert sie sich. Was für sie zunächst kein Grund zur Sorge war, "denn je besser ein Athlet trainiert ist, um so häufiger hat er im Ruhezustand Extrasystolen (Herschlag, der außerhalb des normalen Herzrhythmus auftritt; Anm. der Red.)", erklärt die Läuferin, die damals einen Ruhepuls von 40 Schlägen pro Minute hatte. "Dann kam eine Phase, in der ich immer wieder mal umkippte, einfach so." Zumeist zuhause auf dem Sofa, dann auch außerhalb der Wohnung. "Irgendwann bin ich auf der Straße so hingefallen, dass ich mir die Nase brach und die Knie und Ellenbogen aufschlug", schildert die gelernte Bürokauffrau den weiteren Krankheitsverlauf. Wieder ging es zum Arzt, der überwies Liebing in ein Krankenhaus, wo ein Langzeit-EKG gemacht wurde. "Und irgendwann war ich dann viereinhalb Minuten im Off", berichtet sie von ihrem ersten Herzstillstand, der durch Sauerstoff-Unterversorgung leichte Hirnschäden bei der Frührentnerin hinterließ.

Zurückgeholt ins Leben, brachte eine medikamentöse Behandlung nicht das gewünschte Ergebnis. Es half nur noch das Einpflanzen eines Defibrilators. Dieses kleine, unterhalb des Schlüsselbeins implantiert Gerät hat Liebing nun schon unzählige Male das Leben gerettet. Meist genügt ein Stromstoß, manchmal müssen es zwei oder drei sein - die Obergrenze liegt bei acht. "Das habe ich so entschieden. Dann sind fünf Minuten rum. Wenn es bis dahin nicht geklappt hat, will ich nicht mehr zurückkommen", erzählt die Darmstädterin. "Dann wären die Hirnschäden zu gravierend."

Ihren Lebensmut hat sie trotz allem nicht verloren, auch nicht ihren Humor, der krankheitsbedingt ins Tiefschwarze abgleiten kann. "Wenn man täglich mit dem Tod konfrontiert ist, kann man das ganze nur auf zwei Weisen sehen: Entweder total ernst oder mit Humor. Ich meine, die zweite Variante ist die bessere." Wenngleich Liebing zugibt, "dass es ein langer Weg war, bis ich dahin gekommen bin".

Lang ist auch die Strecke, die an den drei Tagen Keep-On-Running absolviert wird. Insgesamt führen mehr als 52 Kilometer über Stock und Stein. "St. Wendel ist dieses Jahr der sportliche Höhepunkt für mich", freut sich die ehemalige Triathletin, die 2007 trotz ihrer Erkrankung erfolgreich den Ironman in Kärnten absolvierte, auf das erste Oktober-Wochenende. "Ich weiß nicht, ob ich alle drei Läufe mitmachen kann. Aber freitags beim Nachtlauf, dem City-Night-Sprint, will ich auf jeden Fall starten", sagt sie. Denn Sport ist ihr Lebenselexier: "Wenn ich nichts mache, geht es mir noch schlechter." Allerdings schielt sie schon lange nicht mehr nach Bestzeiten: "Für mich zählt nur der olympische Gedanke: Dabei sein ist alles."

Hintergrund

Gritt Liebing hat ihr Leben an der Schwelle des Todes in einem Buch niedergeschrieben: "Ich übe das Sterben: Ein schwaches Herz, ein starker Wille und jeden Tag ein neuer Sieg", so der Titel des am 1. Oktober im Bastei-Verlag erscheinenden Taschenbuchs. Ihre ungewöhnliche Lebensgeschichte hat der 45-Jährigen eine gewisse Popularität eingebracht, so war sie unter anderem in der Talkshow von Reinhold Beckmann (ARD) zu Gast.tog

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