Als Olympia seine Unschuld verlor

Seoul, 24. September 1988: Es ist das Rennen des Jahrhunderts. Der amerikanische Fernsehsender NBC hat 300 Millionen Dollar für die Übertragungsrechte gezahlt - für gerade einmal zehn Sekunden. Es ist der 100-Meter-Endlauf der Männer: Ben Johnson gegen Carl Lewis - ein Duell, das die Massen fasziniert. Auch mich.Mit 17 sind es die ersten Spiele, die ich mir ganz bewusst anschaue

Seoul, 24. September 1988: Es ist das Rennen des Jahrhunderts. Der amerikanische Fernsehsender NBC hat 300 Millionen Dollar für die Übertragungsrechte gezahlt - für gerade einmal zehn Sekunden. Es ist der 100-Meter-Endlauf der Männer: Ben Johnson gegen Carl Lewis - ein Duell, das die Massen fasziniert. Auch mich.

Mit 17 sind es die ersten Spiele, die ich mir ganz bewusst anschaue. Triumphal lächelnd stürmt Johnson über die Ziellinie. Die Uhren zeigen 9,79 Sekunden - ein unglaublicher Weltrekord. Die Welt feiert einen neuen Superstar.

Keine drei Tage später ist alles Makulatur: Johnson wird des Dopings überführt und von den Olympischen Spielen ausgeschlossen. Seoul 1988 hat seinen großen Skandal, aus dem Rennen des Jahrhunderts wurde der Skandal des Jahrhunderts: Erstmals wird ein Olympiasieger des Dopings überführt. Johnson wird mit Schimpf und Schande aus dem Olympischen Dorf gejagt. Medaille und Weltrekord werden ihm aberkannt. Aus dem lächelnden "schnellsten Mann der Erde" ist plötzlich ein Gejagter geworden. Die Bilder, wie Johnson, umringt von einer Meute Menschen, zum Flughafen hetzt, haben sich ebenso in meinem Kopf eingebrannt wie die des eigentlichen Laufes.

Nach langem Leugnen gab Johnson später zu, gedopt zu haben, witterte aber eine Intrige: "Denn wir hatten Vorkehrungen getroffen, dass es nicht auffällt. Und ich habe auch nie mit der Substanz gedopt, die mir in Seoul nachgewiesen wurde."

Johnsons aberkannte Goldmedaille ging an den Zweitplatzierten, Carl Lewis. Ausgerechnet an einen, der gar nicht bei dem Rennen hätte starten dürfen. Lewis war kurz vor Olympia bei den amerikanischen Vorausscheidungen positiv getestet worden - intern vom amerikanischen Verband. Ohne Folgen. Und nicht nur Lewis hatte gedopt: Von den acht Läufern, die an jenem 24. September 1988 im Finale standen, waren insgesamt sechs im Laufe ihrer Karriere in Doping-Affären verwickelt.

Aus dem Tag des Jahrhundert-Rennens war am Ende der Tag geworden, an dem Olympia seine Unschuld verlor. Zumindest für mich. Bei "sensationellen" Weltrekorden bleibt seitdem irgendwie ein ungutes Gefühl.

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