Als Frauenfußball beim FSV Jägersburg boomte Einst Aushängeschild, jetzt Erinnerung

Ostsaarkreis · Seit 50 Jahren ist Frauenfußball in Deutschland offiziell erlaubt. Vor allem der FSV Jägersburg hatte sich hier hervorgetan. Ein Rückblick.

Als Frauenfußball beim FSV Jägersburg boomte
Foto: Stefan Holzhauser

Seit 31. Oktober 1970 dürfen Frauen in Deutschland laut Deutschem Fußball-Bund (DFB) nach einem vorherigen Verbot Fußballsport ausüben, gerade stand also das 50-jährige Jubiläum an. „Ich bin sehr stolz auf unsere Frauen im Fußballsport. Wir konnten im Saarland viele Talente fördern und entwickeln. Heute spielen eine Vielzahl von Mädchen und Frauen in rund 100 Mannschaften im Saarland Fußball“, sagt Heribert Ohlmann, der neue Präsident des saarländischen Fußballverbandes (SFV), in einer Pressemitteilung. Er ergänzt: „Es freut mich sehr, dass immer mehr Frauen den Fußballsport für sich entdecken. Im Bereich des Frauen- und Mädchenfußballs hat der SFV noch ein großes Wachstumspotential. Letztlich können die Frauen dazu beitragen, den Fußballsport im Saarland noch populärer zu machen.“

Auch Nicole Recktenwald, Vorsitzende des Verbandsausschusses für Frauen- und Mädchenfußball beim SFV, unterstreicht den hohen Stellenwert der Kickerinnen. „Wir haben im Saarland einige Spitzenmannschaften im Frauenfußball. Auch die Förderung von Talenten liegt uns am Herzen. Hier leistet unsere Verbandssportlehrerin Margret Kratz zusammen mit den Trainern vor Ort eine hervorragende Arbeit. Wir wollen zukünftig mit unserem Team dafür arbeiten, dass wieder mehr Mädchen und Frauen im Saarland Fußball spielen“, wird Recktenwald in der gleichen Pressemitteilung zitiert. Dass in den letzten 50 Jahren im Saarland gute Arbeit geleistet wurde, könne man seiner Ansicht nach auch daran erkennen, dass 40 Spielerinnen Länderspiele für den DFB bestritten hätten. In dieser Saarland-Statistik auf Bundesebene taucht direkt hinter Dzsenifer Marozsan (100 A- und 52 U-Länderspiele) mit 46 A-Länderspielen Patricia Brocker auf. Sie war mit dem Nachnamen Grigoli am 7. April 1966 nur unweit der saarländischen Landesgrenze im rheinland-pfälzischen Bruchmühlbach geboren worden. Über den FSV Jägersburg fand die Vollblutfußballerin zunächst den Weg zum VfR 09 Saarbrücken, ehe es zum TuS Niederkirchen weiterging. Ihr größter Erfolg auf Vereinsebene war der Gewinn der deutschen Meisterschaft 1993. Die Angreiferin debütierte 1992 gegen Italien in der Fußball-Nationalmannschaft. Bis zu ihrem Abschiedsspiel 1996 gegen Brasilien gab es in 46 Partien 30 Treffer. 1995 wurde sie Europameisterin und Vize-Weltmeisterin. Ein Jahr später folgte die Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen. 2001 kehrte die Stürmerin zum FSV Jägersburg zurück – wo diese große Karriere einst ihren Anfang genommen hatte.

Unvergessen bleibt 1995, als Brocker für den Gewinn der Europameisterschaft im Frauenfußball genau wie ihre Teamkolleginnen mit dem Silbernen Lorbeerblatt ausgezeichnet wurde. Vor allem jüngere Menschen denken heute im Zusammenhang mit dem FSV Jägersburg an die Erfolge der ersten Männermannschaft, die aktuell in der Oberliga auf Torejagd geht. Und dabei waren es die Fußballerinnen, die einst dem kleinen Dorf im Norden von Homburg überregional zu großer Anerkennung verhalfen – zu Zeiten, als die Männer des Clubs noch weit unten im Amateurfußball agierten.

Alles hatte 1969 mit der Gründung einer Frauenfußball-Abteilung angefangen. Dies geschah zu einer Zeit, als der Frauenfußball deutschlandweit nicht offiziell anerkannt wurde. Zu den Gründungsmitgliedern der Abteilung gehörte die verstorbene Hildegard Emser, die sich als Spielerin und Betreuerin engagierte. Lange Zeit übernahm sie viele Aufgaben für die Teams im Verein. Noch als 49-Jährige hatte Emser auf der Liberoposition maßgeblichen Anteil am Aufstieg in die Landesliga 1983 und beendete erst fünf Jahre später ihre Aktivenkarriere.

2000 wurde sie für ihre Leistungen vom DFB mit der Ehrenamtsuhr ausgezeichnet. In der Pionierzeit des Frauenfußballs gab es zunächst nur Freundschaftsspiele. In den ersten 48 Partien blieb der FSV Jägersburg unbesiegt und gewann auch ein Spiel beim ASV Landau vor über 3000 Zuschauern mit 3:0. Damals hatte der Frauenfußball noch mit vielen Vorurteilen der Männer zu kämpfen. „Frauen gehören hinter den Herd und wissen ja noch nicht einmal, was Abseits ist“, war einer der oft zitierten Männersprüche. Von solchen Provokationen ließen sich die Fußballerinnen in Jägersburg nie aufhalten. 1975 übernahm Arno Auffenfeld das Traineramt bei den Mädchen und wurde später Abteilungsleiter. 1978 fand mit Patricia Grigoli ein damals zwölfjähriges Talent zusammen mit einigen Freundinnen den Weg nach Jägersburg. Auf Anhieb folgte die erste Saarlandmeisterschaft der Jugend. Auffenfeld übernahm später auch die Trainingsleitung der ersten Mannschaft im Aktivenbereich. Unvergessen bleiben zwei Siege im Saarlandpokal.

Gleich zwei Mal gelang dem FSV der Sprung ins DFB-Pokal-Viertelfinale, wo es Niederlagen gegen Bayern München (vor über 700 Zuschauern im Homburger Waldstadion) und den Hamburger SV gab. Seit der Gründung der Bundesliga 1990 spielte der FSV Jägersburg maximal noch zweitklassig. Es gab drei Saarlandmeisterschaften und vier Teilnahmen an der Aufstiegsrunde zur ersten Bundesliga. 2001 fand Grigoli, die nach ihrer Heirat mittlerweile Brocker hieß, den Weg zu den Saarpfälzern zurück und hatte als Trainerin großen Erfolg. In den Spielzeiten 2005/06, 2006/07 und 2008/09 spielte der FSV in der zweiten  Fußball-Bundesliga. Die beiden Abstiege in die Regionalliga waren unglücklich. Im Sommer 2010 übernahm der bisherige Co-Trainer Ralf Zimmermann von Brocker das Traineramt. Zwischenzeitlich schlossen sich auch die Aktiven und B-Juniorinnen der SG Parr Medelsheim-Brenschelbach dem FSV an, ehe es wieder zur Trennung kam. Später kam es intern zu gravierenden Spannungen.

Michael Kuntz, der auf Zimmermann folgte, wurde von B-Juniorinnen-Trainer Björn Dill beerbt. Er durfte mit den B-Mädchen des Vereins sogar in der Bundesliga antreten. Dill wurde von vielen Spielerinnen abgelehnt, trat aber dennoch sein neues Amt an. Bereits im April 2015 deutete sich das Ende einer Ära an. Auch nach der Trennung von Dill kehrte bei den Fußballerinnen des FSV Jägersburg keine Ruhe mehr ein. Es zeichnete sich zu diesem Zeitpunkt ab, dass viele Spielerinnen den FSV Jägersburg nach Ablauf der Saison verlassen würden. Auch Interimslösungen konnten den Karren nicht mehr aus dem Dreck ziehen. Mittlerweile hatte Michael Mock von Auffenfeld das Amt des Abteilungsleiters übernommen.

Letztlich waren es für die Frauen- und Mädchenmannschaften des FSV Jägersburg unschöne Wochen und Monate. Nach all den Erfolgen der vergangenen Jahrzehnte schien das Ende in Sicht. Wenig später wurde das gemeldet, was keine Überraschung mehr war: Die Verantwortlichen des FSV Jägersburg meldeten sämtliche Frauen- und Mädchenmannschaften ab. Beim einstigen Aushängeschild des Clubs hatte es keinen gemeinsamen Nenner mehr gegeben. Während bei den Männern im Verein dank der Aufstiege der ersten und zweiten Mannschaft die Kurve steil nach oben zeigte, galt es bei den Frauen, einen Nackenschlag nach dem nächsten zu verkraften. Nach der Spielzeit 2014/15 war also Schluss mit dieser einst so ruhmreichen Geschichte. Nach dem Abgang etlicher Spielerinnen musste das Kapital Mädchen- und Frauenfußball beim FSV Jägersburg beendet werden. Der Weg der ehemaligen FSV-Akteurinnen führte etwa nach Ramstein, Siegelbach, Dirmingen oder auch zu anderen Clubs. Brocker erinnerte damals daran, „dass die Jahre beim FSV Jägersburg die schönste Zeit meiner Laufbahn bleiben. Dort fing alles an und hörte alles auf.“

 Die B-Juniorinnen des FSV Jägersburg (in Weiß) spielten unter der Trainerregie von Björn Dill (hinten links, ganz in Schwarz) sogar in der Bundesliga.

Die B-Juniorinnen des FSV Jägersburg (in Weiß) spielten unter der Trainerregie von Björn Dill (hinten links, ganz in Schwarz) sogar in der Bundesliga.

Foto: Stefan Holzhauser
 Wenn die Frauen spielten, waren oft viele Zuschauer vor Ort.  Foto: sho

Wenn die Frauen spielten, waren oft viele Zuschauer vor Ort. Foto: sho

Foto: Stefan Holzhauser
 Am 7. September 2008 mussten die Jägersburger Spielerinnen nach einem 2:2 gegen Bayer Leverkusen in der zweite Bundesliga getröstet werden.

Am 7. September 2008 mussten die Jägersburger Spielerinnen nach einem 2:2 gegen Bayer Leverkusen in der zweite Bundesliga getröstet werden.

Foto: Stefan Holzhauser
 Am 3. Mai 2009 unterlag die erste Aktivenmannschaft des FSV Jägersburg (in lila) in der 2. Bundesliga zu Hause Wattenscheid mit 0:3. Foto: Stefan Holzhauser

Am 3. Mai 2009 unterlag die erste Aktivenmannschaft des FSV Jägersburg (in lila) in der 2. Bundesliga zu Hause Wattenscheid mit 0:3. Foto: Stefan Holzhauser

Foto: Stefan Holzhauser
 Am 27. April 2008 feierte Jägersburgs Vorsitzender Harald Schwind (oben, links) zusammen mit Trainerin Patricia Brocker (oben, Zweite von links) und Co-Trainer Ralf Zimmermann (oben, rechts) den Aufstieg in die zweite Bundesliga.

Am 27. April 2008 feierte Jägersburgs Vorsitzender Harald Schwind (oben, links) zusammen mit Trainerin Patricia Brocker (oben, Zweite von links) und Co-Trainer Ralf Zimmermann (oben, rechts) den Aufstieg in die zweite Bundesliga.

Foto: Stefan Holzhauser

Was bleibt? Unzählige Titelgewinne und herausragende Erfolge, die den FSV Jägersburg einst sogar bundesweit bekannt machten – aber auch ein unrühmliches Ende einer langen Ära, die bis heute mit Ausnahme für die jüngeren Menschen im Verein unvergessen bleibt. Dennoch gebührt den Jägersburger Fußballerinnen ein nicht gerade kleiner Anteil am Jubiläum „50 Jahre Frauenfußball in Deutschland“. Und natürlich sollen auch all die anderen Mannschaften und Vereine im Ostsaarkreis, die viel für den Mädchen- und Frauenfußball taten – oder es immer noch tun – nicht unerwähnt bleiben. 

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