Ski-Star Hirscher im Interview Der Superstar sieht sich als „Auslaufmodell“

Sölden · Der 29-jährige Österreicher hat sieben Mal den Gesamtweltcup gewonnen. Im SZ-Interview spricht er über seine Motivation und Ziele.

Marcel Hirscher dürfte den alpinen Weltcup auch in diesem Winter dominieren – dabei sieht sich der 29-jährige Österreicher selbst als „Auslaufmodell“. Im Interview spricht der Doppel-Olympiasieger und siebenmalige Gesamtweltcup-Gewinner über die neue Saison und das Leben in der Öffentlichkeit, das er überhaupt nicht mag.

Herr Hirscher, das Rennen in Sölden ist ausgefallen, die WM-Saison startet dennoch mit Ihnen als großem Favoriten. Was sind Ihre Ziele?

MARCEL HIRSCHER Klar möchte ich Weltmeister werden, das möchte jeder Athlet. Aber bis dahin sind es noch keine Ahnung wie viele Tage, noch sehr, sehr viele. Ich weiß nicht, ob ich dann überhaupt in der Verfassung bin, um den Sieg mitzufahren. Aber alles, was dort zählt, ist eins, zwei und drei.

Nach Doppel-Gold in Pyeongchang und Ihrem siebten Triumph im Gesamtweltcup haben Sie sich im Sommer entschieden, Ihre Karriere fortzusetzen. Was treibt Sie an?

HIRSCHER Das ist eine Lebensentscheidung, die trifft man nicht so schnell. Es war nicht einfach, ein langer Weg. Ich würde da einen Lebensabschnitt aufgeben. Das ist mir sehr schwergefallen, vor allem, weil die letzte Saison sehr gut gelaufen ist und mir das Skifahren nach wie vor sehr viel Freude macht. Ich weiß aber, dass ich ein Auslaufmodell bin und wahrscheinlich meinen Höhepunkt schon lange erreicht habe.

Fällt es Ihnen nicht schwer, sich immer wieder zu quälen?

HIRSCHER Doch. Ich stehe um 5 Uhr auf und denke mir: Das ist nicht dein Ernst! Ich möchte schlafen! Dann bist du oben am Gletscher, es ist stockfinster, und du denkst immer noch: Das ist nicht meine Zeit. Dann ziehst du die ersten Schwünge und denkst: Boah cool, ziemlich lässig. Spätestens, wenn du die erste Trainingsfahrt hinter dir hast, das Adre­nalin dich hat, denkst du: Wahnsinnig toller Tag!

Das sollte eigentlich auch der Tag Ihres ersten Olympiasieges sein, doch nachdem Sie diesen in Südkorea geschafft hatten, wirkten Sie leer.

HIRSCHER Es war sicherlich nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe 1998, als Hermann Maier in Nagano Olympiasieger geworden ist und ich die Bilder zu Hause mit meinen Eltern im TV gesehen habe und dachte: Boah, das ist das Größte, das möchte ich auch einmal erreichen. Definitiv nicht. Dennoch war es sportlich sehr, sehr gut, dem öffentlichen und meinem persönlichen Druck standzuhalten und das Ding runterzuziehen.

Dennoch schien Sie das besondere Olympia-Flair nicht gepackt zu haben.

HIRSCHER Ich stand am Start und dachte: Wenn es klappt, dann klappt’s, wenn nicht, dann nicht. Ich habe für mich nicht die Bedeutung dieser Olympiamedaille gewinnen können. Jetzt kann ich es sagen: Für mich hat eine Gesamtweltcup-Kugel sportlich gesehen einen größeren Wert als ein Tagesrennen. Vielleicht hat das die große Rolle gespielt, dass es für mich nicht die Emotion ausgelöst hat wie der erste Gesamtweltcup-Sieg.

Dabei erscheint Ihre Leistung umso größer, wenn man an den Knöchelbruch im Sommer denkt. War diese Verletzung rückblickend ein Segen?

HIRSCHER Der Tag, an dem ich mir den Knöchel gebrochen habe – es war verrückt. Ich habe meinen Medienbetreuer angerufen und gesagt: Du, ich habe mir weh getan, der Knöchel ist kaputt, ich brauche dich jetzt sehr dringend. Er hat mich gefragt, wie es mir geht. Und ich: Ehrlich, mir geht’s super.

Wie bitte?

HIRSCHER Er war völlig geschockt und ich auch, weil ich mich erwischt habe und dachte: Das gibt’s doch nicht, irgendwas passt doch nicht. Wieso geht’s mir super? Ich war so froh, dass ich nicht performen musste. Es war faszinierend, das erste Mal in zehn Jahren im Profisport wirklich freigestellt zu sein. Das war so eine Erholung, dass ich mich wie 18 gefühlt habe, als ich wieder fit geworden bin.

Weil Sie wieder hungrig waren?

HIRSCHER Ich habe in jedem Schwung gewusst: Ich muss jetzt performen, ich muss Gas geben, ich muss aufholen. Es waren zu Beginn über zweieinhalb Sekunden, die ich aufholen musste im Training. Ich habe sechs Tage trainiert, am siebten bin ich das erste Rennen gefahren. Also eigentlich alles ein völliger Wahnsinn.

Ihr Slalom-Rivale Felix Neureuther kommt jetzt ebenfalls aus einer schweren Verletzung. Was trauen Sie ihm zu?

HIRSCHER Felix ist so ein begnadeter Skifahrer, technisch brillant und wahnsinnig smart, der weiß genau, was gut für ihn ist. Um den mache ich mir absolut keine Sorgen.

Wie leicht fällt Ihnen Ihre Rolle als Sportidol Nummer eins in Österreich?

HIRSCHER Ich bin grundsätzlich eher der introvertierte Typ und nicht derjenige, der gerne im Mittelpunkt steht. Für mich war das immer unangenehm, so viele Augen, die auf mich einstarren. Und das ist es nach wie vor. Es war nie meine Intention, Person der Öffentlichkeit zu werden, ich wollte immer nur Skirennfahrer werden. Aber das ist Teil des Spiels.

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