Fußball Alessia Jochum lässt Männer nach ihrer Pfeife tanzen

Riegelsberg · Die Riegelsbergerin ist eine der besten Fußball-Schiedsrichterinnen des Landes. Sie hat selbst beim 1. FC Saarbrücken gekickt.

 Die 24 Jahre alte Schiedsrichterin Alessia Jochum darf bei den Herren bis zur Oberliga und bei den Damen bis zur 2. Bundesliga Spiele leiten.

Die 24 Jahre alte Schiedsrichterin Alessia Jochum darf bei den Herren bis zur Oberliga und bei den Damen bis zur 2. Bundesliga Spiele leiten.

Foto: Wieck

„Musst du nicht an den Herd?“ Oder: „Die Haare schön reicht nicht. Du musst auch laufen, Mädchen!“ Sprüche wie diese kennt Alessia Jochum zur Genüge. „Bei Spielern soll ich so etwas ja sanktionieren. Zuschauer können ohnehin grölen, was sie wollen. Letztlich lass ich das nicht an mich ran. Es gibt sogar Trainer, die freuen sich, wenn wir kommen – dann reißen sich die Jungs mehr zusammen.“ Die Lehramtsstudentin ist eine der besten Fußball-Schiedsrichterinnen des Saarlandes. Die 24-Jährige darf bei den Herren bis zur Oberliga und bei den Damen bis zur 2. Bundesliga Spiele leiten.

„Vor gut sechs Jahren gab es beim Saarländischen Fußball-Verband einen Schnellkurs für Frauen. Da hab’ ich aus Neugier einfach mal mitgemacht“, erzählt die Riegelsbergerin: „Damals habe ich beim 1. FC Saarbrücken in der 2. Liga gekickt.“ Ihr Vater hatte das Pfeifen früher für sich entdeckt. „Bei Spielen der Mädchenmannschaften kam öfter kein Schiedsrichter. Anfänglich ist er immer so eingesprungen, später hat er selbst den Lehrgang gemacht.“

Als ehemalige Spielerin hat Alessia Jochum einige Vorteile, gerade was die Beurteilung von Zweikämpfen, das Spielverständnis oder die körperliche Fitness angeht. An der arbeitet sie weiter – bis zu fünf Trainingseinheiten stehen pro Woche auf dem Programm. Fleiß und Können öffnen Türen. „Als Frau hat man in der Männerdomäne Schiedsrichterwesen noch immer Vorteile. Der Aufstieg geht schneller, es gibt keine Altersgrenzen.“ Dennoch müsse die Leistung stimmen – wie bei Bibiana Steinhaus, der ersten Frau, die in der Herren-Bundesliga Spiele leitet. „Sie ist vielleicht nicht die Schnellste, aber hat eine unglaubliche Ausstrahlung auf dem Platz“, sagt Alessia Jochum, die kein kongretes Vorbild hat, wie sie lachend erklärt: „Ich bin nicht so groß wie Deniz Aytekin. Also muss ich meinen Weg finden.“

Schiedsrichter stehen nicht nur unter Beobachtung der Öffentlichkeit. Auf- und Abstiege hängen bei ihnen von Beurteilungen anderer ab. Dass es da Unstimmigkeiten und Kritik gibt, gehört dazu. „Ich kann verstehen, wenn der ein oder andere Kollege mal enttäuscht und verärgert ist. Ich habe aber bislang selbst nur gute Erfahrungen mit dem System gemacht“, sagt Alessia Jochum, die in dieser Saison erstmals in der 2. Frauen-Bundesliga eingesetzt werden sollte. Aber ein Ermüdungsbruch im Fuß setzt sie außer Gefecht. Zumindest auf dem Platz.

Denn vergangene Woche wurde Alessia Jochum zur Lehrwartin der Schiedsrichtergruppe Südsaar gewählt – als einzige Frau im Land in einer solchen Position. Sie ist Nachfolgerin von Christoph Busch, der sein Amt aus persönlichen Gründen abgegeben hatte. „Als Lehrwahrt vermittelt man den Kollegen die neuesten Regeländerungen oder neuen Auslegungen“, erklärt sie: „Mir kommt dabei zu Gute, dass ich in der Wissensvermittlung arbeite und dass ich seit drei Jahren zum Kreis der DFB-Schiedsrichterinnen gehöre. Da bekommt man regelmäßig sehr gutes Videomaterial, das man in die Aus- und Fortbildung einbinden kann.“

Bei der aktuellen Diskussion um den Videobeweis ist sich die Saarländerin sicher: „Er macht den Fußball gerechter. Aber ich kann auch die Diskussion um die Emotionalität nachvollziehen.“

Dass der Spielbetrieb wegen der Corona-Krise ruht, schmerzt auch Alessia Jochum. Sie hofft, möglichst bald nach ihrer Genesung wieder auf dem Feld stehen zu dürfen. „Meine Woche ist normal durchgetaktet. Am Wochenende stehen manchmal bis zu drei Spiel an. Aber ich kenne es ja nicht anders.“ Die Spielvorbereitung ist ein wichtiger Teil der Schiedsrichterei. „Man informiert sich über die Mannschaften. Den Tabellenstand. Eventuell das Hinspiel. Auch ein genauer Blick auf die Fairplay-Tabelle und den Kader schadet nicht. Es geht nicht darum, sich auf mögliche Situationen einzustellen. Wenn eine Mannschaft einen schnellen Stürmer hat, ist es auch für den Schiedsrichter eine andere Situation als bei einem großen Strafraumspieler.“

Im Sommer wollte Alessia Jochum ihr Studium als Sport- und Religionslehrerin abschließen. Ob der Zeitplan mit Blick auf die Corona-Krise einzuhalten ist, ist offen. Ihre sportlichen Ziele kennt die Schiedsrichterin genau: „Damen-Bundesliga. Da möchte ich gerne hin.“ Von dummen Sprüchen wird sie sich dabei nicht stoppen lassen.

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