9,77 Sekunden: Auf dem Weg zur Legende

Moskau · Mo Farah bleibt der König der Langstrecken-Läufer: Ein Jahr nach seinem Double bei den Olympischen Spielen in London setzte sich der Brite auch bei der Weltmeisterschaft die Krone über 10 000 Meter auf.

Im Regen schalten Rhythmen von Jamaikas Reggae-Legende Bob Marley aus den Boxen - und der König der Sprinter zeigte seine weltbekannte Jubelgeste. Nach einer Ehrenrunde durch das Luschniki-Stadion verharrte Usain Bolt auf der Ziellinie, schmiss sich in die "Blitz"-Pose. Erstmals bei der Leichtathletik-WM in Moskau brauste ohrenbetäubender Jubel auf. Bolt hat sich den WM-Titel über 100 Meter zurückgeholt. Zwei Jahre nach seinem Fehlstart-Fiasko bei der WM in Daegu ist der 26-Jährige zurück auf dem Thron und auf dem Weg, sich zum erfolgreichsten Leichtathleten zu krönen. Mit 9,77 Sekunden verwies er gestern Justin Gatlin (USA/9,85 Sekunden) und Landsmann Nesta Carter (9,95) auf die Plätze. Zufrieden war der Jamaikaner trotz persönlicher Saisonbestleistung nicht: "Ich bin schon glücklich, wollte es aber besser machen. Meine Beine waren schwer nach dem Halbfinale. Der Weltrekord war heute nicht drin, deshalb ging es mir nur um den Sieg." Die Bestmarke steht seit der WM 2009 in Berlin bei 9,58 Sekunden.

Dem sechsmaligen Weltmeister fehlen noch zwei Titel, um Carl Lewis (USA) als fleißigsten Medaillensammler der WM-Geschichte abzulösen. Beide sollen in Moskau folgen: Bolt startet über 200 Meter und mit der 4x100 Meter-Staffel. Der Titel über 100 Meter war Formsache - Tyson Gay (USA) und Asafa Powell (Jamaika) fehlten, weil sie positiv getestet wurden. Titelverteidiger Yohan Blake (Jamaika) hatte verletzt abgesagt. So hatte Bolt das Feld der übrig gebliebenen Sprinter im Griff - den Schatten, den die Dopingfälle werfen, aber nicht.

Nachdem acht der schnellsten zehn Läufer der Geschichte des Dopings überführt sind, stellt sich die Frage, warum ausgerechnet der Weltrekordhalter sauber sein soll. Bolt gibt sich wortkarg. Er sagte aber: "Wenn ich aufhöre, will ich zu den Größten gehören. Jungs wie Michael Jordan, Pele, Muhammad Ali - zu ihnen will ich aufschließen." Und er kündigte dann mal noch den ein oder anderen Weltrekord an. Für Millionen Briten ist er der strahlende Olympia-Held, das Gesicht der Sommerspiele von London. Seine Landsleute hatten den Sieg über 10 000 Meter bei der Leichtathletik-WM in Moskau erwartet - und Mo Farah enttäuschte sie nicht. Nach dem Triumph im Luschniki-Stadion, als der Druck abgefallen war, gewährte er einen seltenen Einblick in seine Gefühlswelt. "Ich bin vier Monate von meinen Töchtern weg gewesen", sagte Farah: "Eltern werden das verstehen: Meine Zwillinge erkennen mich kaum noch."

Direkt nach den Olympischen Spielen 2012 hatte seine Frau Tania zwei Mädchen zur Welt gebracht. Farah hätte nach dem Doppel-Gold in seiner Heimat allen Grund gehabt, sich auf den Lorbeeren auszuruhen und sich um die Familie zu kümmern. Doch der 30-Jährige lief weiter. Immer das Ziel vor Augen, den Olymp der Langstrecken-Läufer zu erklimmen und in eine Reihe mit den größten Athleten wie Haile Gebrselassie, Kenenisa Bekele, Paavo Nurmi, Emil Zatopek und Lasse Viren aufzusteigen. "Ich war während der Vorbereitung einmal zu Hause in London, habe versucht meine Zwillinge zu umarmen und mit ihnen zu spielen", erzählte Farah, "sie sind weggelaufen und haben angefangen zu weinen".

Als der gebürtige Somalier am Samstag nach 27:21,71 Minuten die Ziellinie überquerte, wusste er, warum er die Entbehrungen auf sich genommen hatte. "Es ist einfach schön, den Sieg meinen Zwillingen und meiner sieben Jahre alten Tochter zu widmen", sagte Farah. Noch ist seine Mission in Moskau allerdings nicht beendet, auch wenn Farah als erster Europäer seit 30 Jahren WM-Gold auf der längsten Bahn-Distanz mit nach Hause nimmt. Am Freitag hofft Farah auf Gold über 5000 Meter - so wie in London.

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