Russe Medwedew polarisiert Der geläuterte Tennis-Bösewicht

New York · Russe Medwedew wird bei den US Open in New York ausgepfiffen und bejubelt. Heute im Halbfinale gegen Bulgaren Dimitrow.

 Daniil Medwedew drückt den US Open derzeit seinen Stempel auf.

Daniil Medwedew drückt den US Open derzeit seinen Stempel auf.

Foto: dpa/Sarah Stier

In seiner geliebten Rolle des Bösewichts gefiel sich Daniil Medwedew dann offenbar doch nicht mehr so gut. Also versuchte es das Hassobjekt des New Yorker Tennispublikums nach seinem Einzug ins Halbfinale der US Open ausnahmsweise mal nicht mit Provokation, sondern einer leisen Annäherung. „Viele Leute unterstützen mich, viele mögen mich nicht. Ich versuche nur, ich selbst zu sein“, erklärte der 25 Jahre alte Russe und fügte hinzu: „Jetzt kann ich nur sagen: Sorry, Leute – und vielen Dank.“ Und dann wurde der Mann, der in den Runden zuvor die Buhrufe und Pfiffe des Publikums heraufbeschworen und daraus seine Motivation gezogen hatte, auf einmal mit Lachern und Jubel bedacht.

Wie der Weltranglisten-Fünfte trotz Schmerzen und mit Tapeband zugepflastertem Körper den früheren Champion Stan Wawrinka im Viertelfinale in vier Sätzen niedergerungen hatte, beeindruckte die Zuschauer im Arthur-Ashe-Stadium. Und wie er sich nach seinen fragwürdigen Provokationen auf einmal demütig gab, erst recht. „Ich habe verdient, was ich bekommen habe“, sagte Medwedew und erklärte: „Normalerweise bin ich nicht so, ich werde an mir arbeiten und hoffentlich meine gute Seite zeigen.“ Ob er sich gebessert hat, kann er in seinem ersten Major-Halbfinale an diesem Freitag gegen den Bulgaren Grigor Dimitrow beweisen.

Bis dahin gefiel sich der Russe in der Rolle des Provokateurs aber ausgezeichnet. Und die New Yorker Zuschauer liebten es, Medwedew zu hassen. Seit er in seinem Drittrundenspiel einem Ballkind das Handtuch aggressiv aus den Händen riss und zu Boden schleuderte, sich mit ausgestrecktem „Stinkefinger“ am Kopf kratzte und im Court-Interview auch noch für die feindselige Stimmung bedankte, war der Russe das Hassobjekt Nummer eins.

Medwedew genoss das Pfeifkonzert, stachelte das Publikum mit ausgebreiteten Armen und frechem Grinsen an – und nach dem Sieg im Achtelfinale gegen Dominik Koepfer, das Medwedew trotz körperlicher Probleme gewonnen hatte, legte er nach. „Ich habe so viele Schmerzmittel wie möglich genommen“, erzählte Medwedew, sogar kurz vor der Aufgabe habe er gestanden: „Aber indem ihr gegen mich wart, habt ihr mir die Energie für den Sieg gegeben.“

Der Russe ist derzeit ohne Frage der heißeste Spieler im Tennis-Zirkus – auch auf dem Court: Finale in Washington, Finale in Montreal, Sieg beim Masters in Cincinnati und nun Halbfinale in New York. Medwedew dominiert auf Hartplatz, von den vergangenen 21 Matches gewann er 19. Insgesamt steht er in diesem Jahr bereits bei 49 Siegen – Bestmarke auf der Tour. Sein Spiel besticht nicht durch Brillanz, es ist grundsolide, fast ohne einfache Fehler und taktisch wie kämpferisch auf überragendem Level. „Die Leute mögen es nicht, gegen ihn zu spielen“, sagte Tennis-Ikone John McEnroe über den Russen mit der unorthodoxen Rückhand. Auch Trainer Gilles Cervara ist sich über die Besonderheit seines Schützlings bewusst. „Es ist, wie wenn man ein Genie coacht“, sagte er.

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