Dopingskandal in Russland 298 Verdachtsfälle setzen Verbände unter Druck

Moskau · Die russische Doping-Krise nimmt nach der Analyse der Daten aus dem Moskauer Kontrolllabor neue Fahrt auf.

Hunderte russische Sportler unter ernsthaftem Doping-Verdacht, das Riesenreich wiegelt ab – und die Verbände geraten ins Schwitzen: Nach Bekanntwerden von 298 (!) besonders verdächtigen Fällen fordert die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) den organisierten Sport druckvoll zum Durchgreifen auf. Ziehen die Verbände nicht mit, will die Wada gar vor den Internationalen Sportgerichtshof CAS gehen.

Auch die deutschen Anti-Doping-Kämpfer drängen auf ein schnelles Vorgehen. „Es ist nun wichtig, dass die internationalen Verbände die entsprechenden Ergebnismanagement- und Sanktionsverfahren einleiten. Dies ist essenziell für die sauberen Sportlerinnen und Sportler und für die Glaubwürdigkeit der Anti-Doping-Arbeit. Denn es ist schon sehr viel Zeit verloren gegangen“, sagte Andrea Gotzmann, die Vorstandsvorsitzende der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada).

In Russland stößt das forsche Vorpreschen der Ermittler auf Unbehagen. „Anstatt schnelle Schlüsse zu ziehen, sollten wir auf die Ergebnisse der Untersuchung warten“, sagte der russische Sportminister Pawel Kolobkow der einheimischen Nachrichtenagentur Tass: „Anhand der Ergebnisse werden die internationalen Sportverbände entscheiden, ob die Beweise ausreichen oder nicht.“ Zudem versprach Kolobkow ein hartes Vorgehen gegen Dopingsünder. „Falls ein Sportler die Anti-Doping-Regularien verletzt hat, wird er disqualifiziert. Russland unterstützt sauberen Sport.“

Am Dienstag hatte die Wada mitgeteilt, dass im Zuge der Auswertung von Daten aus dem Moskauer Kontrolllabor 298 Fälle mit besonders verdächtigen Werten aufgetreten seien. Davon wurden nun die ersten 43 Beweispakete zusammengestellt und den jeweiligen Verbänden geschickt. Bisher hatten die meisten Verbände es noch nicht gewagt, sich mit den Russen anzulegen – der Leichtathletik Weltverband IAAF, der Russland immer noch suspendiert hat, ausgenommen. Doch diese Politik könnte nun ein Ende haben.

Bei Fällen, in denen ein Verband nach Ansicht der Wada nicht angemessen handelt, werde sie den Sachverhalt selbst überprüfen, teilte sie am Dienstag mit. Dort behalten sich die Doping-Jäger auch das Recht vor, entsprechende Fälle dem CAS vorzulegen. Die Bewertung durch die Verbände werde laut Wada-Angaben „einige Zeit in Anspruch nehmen“. Sie selbst wolle in „naher Zukunft“ weitere Pakete zur Verfügung stellen, bis Ende des Jahres sollen alle wichtigen Fälle untersucht werden.

Im Januar hatte ein Expertenteam die Daten mit einem Volumen von 24 Terabyte in Moskau aus dem sogenannten Labor-Informations- und Management-System (LIMS) gesichert. In dem Datensatz enthalten sind alle Doping-Testdaten zwischen Januar 2012 und August 2015. In diesem Zeitraum sollen im Moskauer Labor systematisch positive Tests vertuscht worden sein. Die Wada erhielt neben Analysedaten 4524 A- und B-Proben von russischen Athleten, die im Dopingverdacht stehen. Wada-Präsident Craig Reedie hatte zuvor mit rund 100 Fällen von „ernsthaftem Dopingvergehen“ gerechnet. So, wie es mittlerweile aussieht, könnten es deutlich mehr werden.

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