Radsport Die Tour muss rollen – aber darf sie auch?

Köln · Die Verschiebung der Tour de France sorgt für viel Ungewissheit. Fahrer wie Emanuel Buchmann und ihre Teams hängen in der Luft.

 Emanuel Buchmann vom Team Bora-hansgrohe, die große deutsche Tour-de-France-Hoffnung, sagt zur Verschiebung der Frankreich-Rundfahrt: „Mental wird das eine Herausforderung.“

Emanuel Buchmann vom Team Bora-hansgrohe, die große deutsche Tour-de-France-Hoffnung, sagt zur Verschiebung der Frankreich-Rundfahrt: „Mental wird das eine Herausforderung.“

Foto: dpa/Jean-Christophe Bott

Gute Nachricht? Schlechte Nachricht? Emanuel Buchmann war durchaus zwiegespalten, als ihn die Botschaft der Tour-Verschiebung in Lochau am Bodensee erreichte. „Einerseits ist es gut, nun zu wissen, worauf man sich einstellen muss. Anderseits ist der Weg bis zur Tour de France allerdings nun noch weiter als gedacht“, sagte die große deutsche Hoffnung für die 107. Frankreich-Rundfahrt: „Mental wird das eine Herausforderung.“

Wie Buchmann geht es auch dem Gros der Kollegen: Dass die Tour aufgrund der Corona-Pandemie nun zwei Monate später als geplant vom 29. August bis zum 20. September rollen soll, wird vordergründig als gute Nachricht gewertet. „Das ist etwas Licht am Ende des Tunnels“, sagte der viermalige Toursieger Chris Froome. Olympiasieger Greg Van Avermaet quittierte erleichtert, dass „wir Fahrer jetzt ein paar Termine im Kopf haben können, das ist unglaublich wichtig“.

Gleichwohl hängen die Profis weiter in der Luft: Niemand weiß, wann und ob es wirklich losgeht. Buchmann trainiert quasi im luftleeren Raum. „Ich versuche, ruhig zu bleiben und einfach von Woche zu Woche mein Training durchzuziehen“, sagte der 27-Jährige: „Entscheidend wird sein, wann überhaupt wieder Rennen stattfinden, dann können wir eine spezielle Vorbereitung planen. Vielleicht ist im Juni schon ein Höhentrainingslager möglich.“

Vielleicht – das ist derzeit die zentrale Radsport-Vokabel, denn die Tour-Verschiebung wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Zumal Gesundheitsexperten geradezu entsetzt auf die Pläne reagieren, zeitnah eine Riesenrundfahrt mit rund zehn Millionen Zuschauern zu veranstalten. „Menschen aus aller Welt auf einem Haufen, die von Stadt zu Stadt reisen – da kann ein Virus gedeihen, das könnte ein Rezept für eine Katastrophe sein“, sagte Devi Sridhar, Professorin und eine der prominentesten britischen Corona-Bekämpferinnen, dem Internetportal cyclingnews: „Das Klügste wäre, die Tour komplett abzusagen.“

Ohnehin wirkt der Plan des Weltverbandes UCI, ab Ende August bis fast in den Winter eine nahezu komplette Saison durchzupeitschen, irrwitzig. „Wenn man Realist ist, bringt man alle Rennen sowieso nicht im Kalender unter“, sagte Buchmanns Bora-Boss Ralph Denk. Der Kalender, der erst Mitte Mai final abgesegnet werden soll, war schon kurz nach seiner Ankündigung nicht mehr zu halten. So hatte die UCI generös das Wochenende 22./23. August – also kurz vor dem geplanten Tour-Start – für nationale Meisterschaften spendiert. Dies hätte ohnehin der ursprünglich für den 20. bis 23. August geplanten Deutschland-Tour den Stecker gezoge. Doch selbst dies ist mittlerweile hinfällig: In Deutschland wie auch in Belgien sind sportliche Großveranstaltungen bis zum 31. August abgesagt – mindestens.

Was lässt also die Organisatoren der größten Großveranstaltung im Radsport davon träumen, dass im noch weit schlimmer von Corona getroffenen Nachbarland Frankreich schon im August der Vorhang wieder aufgehen kann? „Es wäre das erste große Ereignis, ein Leuchtfeuer, von dem wir in die Zukunft blicken und sagen können: Ja, wir werden das durchstehen“, sagte Tour-Chef Christian Prudhomme. Die wahren Gründe sind dagegen viel weniger romantisch. „Es ist sehr simpel“, sagte Marc Madiot, Teamchef der französischen Top-Equipe Groupama-FDJ: „Wenn die Tour ausfällt, könnten Teams verschwinden, Fahrer und Mitarbeiter werden ohne Job sein.“

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