Tour de France Ein Bahnrad-Spezialist als Leibwächter

Albi · Der wandlungsfähige Roger Kluge macht bei der Tour de France beim Team Lotto-Soudal als Sprint-Helfer von sich reden.

Roger Kluge tritt bei der Tour de France immer dann in Erscheinung, wenn es hektisch wird. In der Vorbereitung eines Massensprints, wenn die Nerven bis zum Zerreißen angespannt sind, wenn Mut ebenso gefragt ist wie kühles Taktieren, schlägt die Stunde des Brandenburgers. „Da werden im Finale schon so manche Türen brutal zugeschlagen. Da wird sich durchgequetscht, wo eigentlich keine Lücke ist“, beschrieb der 33-Jährige den heißen Endkampf in der FAZ.

Kluge eskortiert beim belgischen Team Lotto-Soudal seinen Sprinter Caleb Ewan wie ein Bodyguard durch die schmalen Lücken des rasenden Feldes, bis der Australier in der richtigen Position ist. Der Bahnrad-Spezialist macht den Job als Leibwächter so gut, dass Ewan ihn bei allen wichtigen Rennen um sich haben möchte. Ob im Mai beim Giro d‘Italia oder jetzt bei der Frankreich-Rundfahrt – für Ewan ist Kluge unverzichtbar.

Seit zweieinhalb Jahren fährt der gebürtige Eisenhüttenstädter an der Seite des gedrungenen Sprinters aus Down Under, zunächst bei Mitchelton-Scott, seit 2019 in der Lotto-Equipe. Die Kooperation hat Kluges Straßenkarriere noch einmal einen Impuls verliehen und ihn zum dritten Mal zur Tour geführt. „Das Jahr verlief wirklich nach Plan, wir haben immer mehr zueinandergefunden“, sagte der 1,93-Meter-Hüne, der Ewan beim Giro zu zwei Etappensiegen geführt hatte.

Bei der Tour sorgt Kluge dafür, dass andere glänzen. So wie sein Teamkollege Thomas de Gendt aus Belgien, der am Samstag in St. Etienne die achte Etappe gewonnen hatte. Im Velodrom ist aber Kluge derjenige, der im Mittelpunkt steht. Zwei Weltmeistertitel im Zweier-Mannschaftsfahren, dem Madison, hat Kluge an der Seite des Berliners Theo Reinhardt gefeiert – und gerade dieses Jahr bewies er dabei seine erstaunliche und blitzartige Wandlungsfähigkeit.

Anfang März bestieg er samstags einen Nachtflug von einer Rundfahrt in den Arabischen Emiraten nach Warschau zur Bahnrad-WM. Dreieinhalb Stunden vor Rennbeginn landete Kluge in Polen – und raste zu Gold. 1000 Kilometer Abreise und sechs Stunden Flug hatte Kluge in den Beinen, stoppen ließ er sich davon nicht. „Die Bahn war schon immer meine Leidenschaft“, erklärt Kluge, weshalb er solche Umstände auf sich nimmt.

Priorität hat dennoch die Straße, dort verdient Kluge sein Einkommen. Bis er 40 ist, will er noch fahren. Der Giro-Etappensieger von 2016 verdankt es seiner Anpassungsfähigkeit, dass er beide Disziplinen so mühelos kombinieren kann. Und nicht zuletzt deshalb hat der Wahl-Berliner für 2020 noch zwei besondere Höhepunkte auf der Bahn im Visier. Einmal die WM im Februar vor der Haustür in Berlin und die Olympischen Spiele in Tokio.

 SZ-Tour-Etappe_11

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Foto: SZ/Steffen, Michael

Wenn alles gut geht, wird Kluge mit Goldambitionen nach Japan reisen. Aber auch seine Flexibilität würde wieder auf eine besondere Probe gestellt. Denn für Ewan dürfte die Tour auch 2020 der Saisonhöhepunkt sein, die Coolness und Erfahrung seines Helfers wären erneut unersetzlich. Zumindest die Anreise nach Tokio kann Kluge aber entspannter planen. Zwischen dem Tour-Ende und dem olympischen Madison-Rennen liegen 20 Tage.

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