Präsident hörte angeblich keine Kritik Coe lächelt die „Katarstrophe“ weg

Doha · Die Wüsten-WM bot ein zum Teil gruseliges Bild. Der Weltverbands-Präsident fand sie hingegen „großartig".

Kollabierende Sportler bei unmenschlichen Bedingungen, ein oftmals gähnend leeres Stadion, beißende Kritik von Spitzenathleten – doch Sebastian Coe stellt dem Gastgeber einer mitunter gruseligen WM ein Traumzeugnis aus: „Wir sehen hier, dass Katar ein tolles Land für die Leichtathletik ist“, sagte der Präsident des Weltverbandes IAAF: „Wir bringen die Sportart dorthin, wo sie gut ankommen kann.“

Der 63 Jahre alte Brite, der in Doha ohne Gegenstimme im Amt bestätigt wurde, lässt öffentlich nichts auf diese WM kommen, die nicht einmal sein Baby ist. Die Titelkämpfe waren noch unter Coes umstrittenem Vorgänger Lamine Diack in die Wüste geschickt worden. Dennoch erhob er dieses Sportfest, das ungeachtet der hohen sportlichen Qualität ein Tiefpunkt in der Geschichte der Weltmeisterschaften war, in den Hochadel der Sportveranstaltungen – und fegte ganz nebenbei über die öffentlich geäußerten Bedenken besorgter Sportler hinweg.

„Mein Instinkt sagt mir, dass die meisten Athleten auch den Eindruck haben, dass es eine gute Entscheidung war, die WM hier abzuhalten“, sagte Coe. Es hätten „überhaupt nicht viele“ Sportler gegen die teils gesundheitsschädlichen Wettkämpfe in der brutalen schwülen Hitze sowie die teils gespenstische Stille im Stadion protestiert. „Ich habe mit vielen Athleten gesprochen, ich habe immer eine Frage gestellt: Gefällt es euch? Die einhellige Rückmeldung war, dass das Projektmanagement hier großartig war, dass die Konditionen hier fast perfekt sind“, sagte Coe: „Ich als ehemaliger Sportler hätte hier selbst gerne mitgemacht.“

Der Präsident muss bei seiner repräsentativen Marktforschung Athleten wie Kevin Mayer und Yohann Diniz ausgespart haben. „Jeder kann sehen, dass dies hier ein Desaster ist. Die Tribünen sind leer“, sagte der französische Zehnkampf-Weltrekordler Mayer. Landsmann und Geher-Weltrekordler Diniz schimpfte: „Da draußen haben sie uns in einen Backofen geschoben. Sie haben aus uns Meerschweinchen gemacht, Versuchskaninchen.“ Der neue Zehnkampf-Weltmeister Niklas Kaul, der seine Ehrenrunde unter Ausschluss der Öffentlichkeit absolvierte, meinte: „Ich glaube, dass man der Leichtathletik keinen Gefallen getan hat.“ Medien schrieben gar von einer „Katarstrophe“.

Das lokale Organisationskomitee und seine Medienabteilung agierten phasenweise wie ein Propaganda-Ministerium. Dahlan Al Hamad, OK-Chef und Vizepräsident des Weltverbandes IAAF, teilte auf einer skurrilen Pressekonferenz kurz vor WM-Beginn mit, dass von insgesamt 200 000 Eintrittskarten nur noch 5000 zu verkaufen seien und auch diese rasenden Absatz finden. 7266 Zuschauer lautete die offizielle Zuschauerzahl für den ersten WM-Sonntag mit dem Frauenfinale über 100 Meter, und selbst diese wirkte arg geschönt. Um beim Hochsprung-Gold von Volksheld Mutaz Essa Barshim das Stadion mit offiziell 42 180 Zuschauern zu befüllen, „haben das OK, seine Partner und öffentliche Institutionen Tickets verkauft und verteilt“, teilten die WM-Macher mit. Zeitweise waren keine Eintrittskarten nötig, um das Stadion zu betreten.

 Sebastian Coe, der Präsident des Leichtathletik-Weltverbands, lässt auf die WM in Doha nichts kommen.

Sebastian Coe, der Präsident des Leichtathletik-Weltverbands, lässt auf die WM in Doha nichts kommen.

Foto: dpa/Mike Egerton

Dass reihenweise Geher und Marathonläuferinnen vor den Bedingungen kapitulierten, ihre Körper unter teils dramatischen Bildern den Dienst quittierten, veranlasste das OK zu der Feststellung, dass das medizinische Personal der WM „nach fünf von sechs Straßenwettbewerben keinen einzigen Hitzschlag diagnostiziert“ habe. Einfach großartig, wie Verbandspräsident Coe sagen würde.

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