Darts-WM in London Der Rücktritt ist eine Erlösung
London · Darts-Ikone Raymond van Barneveld hört nach der Weltmeisterschaft in London auf.
Mindestens noch einmal schallt die Rocky-Hymne „Eye of the Tiger“ durch den in Orange getauchten Ally Pally, noch einmal schreitet Raymond van Barneveld unter tosendem Jubel seiner „Barney Army“ zur Bühne. Doch nach der an diesem Freitag startenden WM ist für die niederländische Darts-Ikone endgültig Schluss – es ist ein Rücktritt, der einer Erlösung gleichkommt. Denn wenn der allerletzte Pfeil geworfen ist, hat auch das Leiden des fünfmaligen Weltmeisters ein Ende.
„Manchmal frage ich mich, warum ich nicht nach der letzten WM aufgehört habe. Das ist nicht der Raymond van Barneveld, den man kennt, der jedes Jahr Turniere gewinnt“, klagte der 52-Jährige im Sommer in Köln im Rahmen seines letzten Profi-Auftritts vor deutschem Publikum: „Ich genieße absolut gar nichts, es ist das schlimmste Jahr meines Lebens.“
Die Einsicht, nicht mehr mit den Großen mithalten zu können, reifte in seiner Abschiedssaison auf immer schmerzvollere Weise. Van Barnevelds letzter Turniersieg liegt bereits über fünf Jahre zurück. Statt Titel und Trophäen bestimmten zuletzt nur noch Formtiefs, Motivationsprobleme und private Rückschläge die Karriere des Niederländers. Da er in der Weltrangliste auf Rang 40 abgerutscht ist, muss er bereits an diesem Samstag (ab 20 Uhr/ Sport1 und DAZN) in der ersten Runde gegen den US-Amerikaner Darin Young ran. Es könnte schon das letzte Spiel einer ruhmreichen Laufbahn sein.
Was danach bleiben wird, ist das übergroße Vermächtnis des Postboten aus Den Haag, der zur Ikone eines ganzen Sports aufstieg. Mit vier WM-Titeln bei der British Darts Organisation (BDO) stürzte er seine Heimat ins Pfeile-Fieber, und nach seinem Wechsel zur lukrativeren Professional Darts Corporation (PDC) machte er sich am 1. Januar 2007 unsterblich. Im WM-Finale gewann er das Duell der Giganten gegen Rekordweltmeister Phil Taylor im wahrscheinlich besten Spiel der Geschichte im Sudden Death.
Doch all das hat für van Barneveld keinen Wert mehr. „Es bedeutet gar nichts, weil es immer jemanden gab, der mehr gewonnen hat“, sagte er im Juli: „Immer, wenn ich ins Bett gehe und aufstehe, weiß ich: Ich war nicht gut genug. Du warst nicht der Beste in deinem Sport. Es ist schwer, damit umzugehen. Und genau deshalb höre ich auf.“
Wie sehr sich van Barneveld quält, wurde bereits im März offenbar. Nach zwei Klatschen in der Premier League wischte er den geplanten Rücktritt zum Jahresende kurzerhand beiseite und erklärte seinen sofortigen Rückzug – 13 Stunden später folgte die Rolle rückwärts, unter anderem aufgrund von „Sponsorenverpflichtungen“, wie er später einräumte. Der vierfache Vater und Großvater von drei Enkeln sehnt sich schon lange danach, sich mehr seiner Familie widmen zu können.
Ein letztes Hurra traut er sich im Alexandra Palace aber noch zu. „Ich glaube immer noch daran, dass bei der WM etwas Spezielles für mich passieren wird. Ich habe in meinem ersten Jahr bei der PDC die WM gewonnen. Wie schön wäre es, wenn ich die WM jetzt auch in meinem letzten Jahr gewinnen würde“, sagte van Barneveld. Zwar wisse er, dass dies „nicht realistisch ist, aber wenn ich nicht daran glauben würde, bräuchte ich nicht anzutreten“.