Formel 1 Machtprobe mit dem neuen Liebling

Singapur · In einer enttäuschenden Saison ist Sebastian Vettel bei Ferrari nur noch die Nummer zwei hinter Charles Leclerc.

 Teamkollege Charles Leclerc (links) hat Sebastian Vettel in den letzten Wochen bei Ferrari den Rang abgelaufen.

Teamkollege Charles Leclerc (links) hat Sebastian Vettel in den letzten Wochen bei Ferrari den Rang abgelaufen.

Foto: dpa/Luca Bruno

Vielleicht sollte Sebastian Vettel, wenn er es nicht schon getan hat, das Gespräch mit Mark Webber suchen. Der Australier weiß, wie es ist, wenn der Teamkollege beim Rennstall und der breiten Öffentlichkeit gewissermaßen Narrenfreiheit hat. Webber machte diese Erfahrung 2013 bei Red Bull. Die „Multi-21“-Affäre, bei der sein Stallrivale eine klare Absprache ignorierte und damit davonkam, raubte Webber damals die Lust an der Formel 1. Besagter Teamkollege: Vettel, seinerzeit das ganz große Ding in der Königsklasse und am Saison­ende zum vierten Mal Weltmeister.

Sechs Jahre später ist es der nach wie vor viermalige Titelträger Vettel, der einen scheinbar aussichtslosen Kampf führt. Sein Teamkollege Charles Leclerc ist spätestens seit seinen Siegen in Spa und Monza der große Liebling der Ferrari-Fans und der italienischen Presse. Der 21-jährige Monegasse, der stets höflich daherkommt und in geschliffenem Italienisch parliert, zeigte im Monza-Qualifying eine ähnliche Entschlossenheit – respektive Ignoranz – wie dereinst Vettel, indem er dem Deutschen nicht den vereinbarten Windschatten spendete. Vettel war zurecht erbost, doch die Ferrari-Spitze hielt schützend ihre Hand über Leclerc, der tags darauf von Startplatz eins zum Sieg fuhr. Wie soll der 32-jährige Heppenheimer dagegen ankommen?

Eigentlich ist es einfach: Er muss den Teamkollegen beim Großen Preis von Singapur an diesem Sonntag (14.10 Uhr/RTL und Sky) bezwingen, es wäre zumindest ein erster Schritt. Vettel mag den Stadtkurs, mit seinen vier Siegen beim glamourösen Nachtrennen kann nur Weltmeister und WM-Spitzenreiter Lewis Hamilton (Mercedes) mithalten. Vettel fährt allerdings eine fehlerbehaftete Saison und wartet seit 23 Rennen auf seinen 53. Grand-Prix-Sieg. Der ersehnte fünfte WM-Titel ist kein Thema mehr.

Doch auch wenn der 2019er-Ferrari auf den meisten Strecken schwächelt, hat an Vettels Qualitäten kaum jemand Zweifel. „Sebastian ist einer der besten Fahrer aller Zeiten und hat nach wie vor den Speed“, sagt etwa Nico Rosberg. Der Weltmeister von 2016 gibt aber zu bedenken: „Sein Teamkollege wurde soeben eine Ferrari-Legende.“

Tatsächlich haben es Spötter mit Vettel derzeit so leicht wie nie. Nur noch in der Strafpunkte-Wertung ist der Ferrari-Pilot einsame Spitze. Leistet er sich in den nächsten drei Rennen ein weiteres Vergehen in der Größenordnung seines Monza-Fauxpas, als er nach einem Dreher übermotiviert auf die Strecke zurückkehrte und den Racing Point von Lance Stroll touchierte, müsste Vettel einmal aussetzen.

Vettel, der zuletzt sieben Qualifying-Niederlagen in Folge gegen Leclerc kassierte und in der WM als Fünfter (169 Punkte) erstmals hinter dem Teamkollegen (Platz vier mit 182 Zählern) liegt, beteuerte zuletzt: „Ich mag immer noch, was ich tue.“ Aber: „Natürlich, wenn du nicht gut bist und weißt, wozu du fähig bist, kannst du nicht glücklich sein.“

Vettel benötige „in dieser harten Zeit die Unterstützung des Teams, um das Selbstvertrauen zurückzugewinnen, das ihm gerade fehlt“, sagte Formel-1-Sportchef Ross Brawn. In Ferrari-Teamchef Mattia Binotto hat Vettel einen wichtigen Fürsprecher, doch der Druck steigt mit jedem Nackenschlag. Der bis Ende 2020 mit 40 Millionen Euro jährlich entlohnte Vettel hat gewiss wenig Lust, seine Karriere als Wasserträger zu beenden. Und vermutlich möchte Ferrari nicht derart viel Geld an einen Edelhelfer überweisen.

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