Zwei Südafrikaner mischen die DTM auf Schnelle Brüder
Nürburgring · Es war ein ungewöhnliches DTM-Wochenende am Nürburgring. Stundenlang bekamen die Zuschauer wegen Nebels nicht viel mehr zu sehen als die Hand vor Augen, dann standen mit Sheldon und Kelvin van der Linde erstmals zwei Brüder ganz oben auf dem Siegerpodest der DTM. Und schließlich tobte ein Ex-Meister – und der Führende der Gesamtwertung crashte zwei Mal.
Das hat es in gut 40 Jahren DTM noch nie gegeben: Am Samstag standen auf dem Nürburgring erstmals zwei Brüder nebeneinander auf dem Siegerpodest: die Südafrikaner Sheldon (23) und Kelvin (26) van der Linde. Der jüngere war nach seinem Sieg noch gar nicht ganz aus seinem BMW M4 GT3 geklettert, da riss ihn sein Bruder schon um, trommelte ihm mit den Händen auf den Helm und hob ihn dann wild jubelnd in die Luft. Der Sieger wischte sich wenig später, den Helm noch auf dem Kopf, ein paar Tränen aus den Augen - und schüttelte immer wieder ungläubig den Kopf. „Das war eines der verrücktesten Rennen meines Lebens", sagte er. "Erst haben wir wegen des Nebels ewig auf den Rennstart warten müssen - und jetzt stehe ich zusammen mit meinem Bruder auf dem Podium. Das ist der beste Tag meines Lebens. Es war immer unser gemeinsames Ziel, einmal gemeinsam auf dem Podium zu stehen. Heute ist dieser Traum wahr geworden.“ Sein Bruder fügte breit grinsend hinzu: „Das ist der geilste Tag überhaupt. Nichts kann das toppen! Das werden wir heute vernünftig feiern.“
Frech, fröhlich, unbekümmert – und eigentlich immer gut gelaunt. So mischen die beiden schnellen Brüder derzeit die DTM auf. Kelvin van der Linde kämpfte bereits vergangene Saison lange um den Titel - und scheint nach hartnäckigeren Problemen mit der Abstimmung des Autos nun auch in dieser Saison wieder auf der Erfolgsspur zu sein. Bruder Sheldon gilt spätestens seit den beiden Nürburgring-Rennen vom Wochenende als heißester Titelanwärter in dieser Saison. 21 Punkte beträgt sein Vorsprung in der Gesamtwertung auf Lamborghini-Pilot Mirko Bortolotti – sechs Rennen vor Saisonschluss.
Brüder in der DTM gab es bereits mehrfach: Etwa die Berliner Gerd und Jürgen Ruch, die in den 90er Jahren mit ihren Ford Mustangs zumeist das hintere Feld aufmischten. Oder, sicher das berühmteste Brüderpaar, Michael und Ralf Schumacher, die aber nie gegeneinander antraten. Michael fuhr 1990 und 1991 sporadisch Einsätze für Mercedes, Ralf war von 2008 bis 2012 dauerhaft für den Stern unterwegs. Sogar zu dritt waren die Winkelhock-Brüder in der DTM vertreten, Manfred allerdings nur 1984, Thomas von 1990 bis 1992 sowie Joachim von 1986 bis 1992 und 2000 bis 2003. So erfolgreich wie die van der Lindes war aber kein Brüderpaar vorher.
Und nicht nur auf der Rennstrecke laufen sie sich über den Weg. In Kempten im Allgäu bilden die beiden eine „Vollgas-WG“. Pokale und große Fotos von den Rennen prägen das Bild der stylischen Wohnung. „Es gibt nicht viele Geschwister, die sich so gut verstehen wie wir“, sagt Sheldon van der Linde – auch wenn es ums Putzen bisweilen Diskussionen gibt. Junggesellen-WG halt. In der Wohnung steht auch ein großer Renn-Simulator, an dem die beiden in der Freizeit über alle möglichen Rennstrecken donnern – oder sich auf kommende Pisten vorbereiten. „Sheldon ist in dem Ding schneller“, gibt Kelvin van der Linde zu – und feixt dann: „Dafür bin ich es auf der Rennstrecke.“
Der Motorsport liegt beiden im Blut. Sie stammen aus einer Familie mit einer mehr als 40-jährigen Motorsport-Geschichte, wuchsen quasi an der Rennstrecke auf. Opa Hennie van der Linde gewann in Südafrika in den 1980ern drei nationale Tourenwagentitel, Vater Shaun (48) holte 1994 die Meisterschaft, und Onkel Etienne (40) schaffte es sogar bis in die Formel 3000, damals die Klasse unterhalb der Formel 1. Eine schrecklich schnelle Familie halt.
Und die Jungs stehen dem in nichts nach. 2013 gewann Kelvin van der Linde in Südafrika den VW-Polo-Cup. Danach war klar: Für die nächsten Schritte auf der Karriere-Leiter muss er nach Europa umziehen. Mit gerade einmal 17 Jahren landete er in Kempten – weil ein ehemaliger Ingenieur seines Vaters nun bei Abt arbeitete. Erster Vermieter war sein Teamchef Christian Abt. „Ich konnte kein Deutsch und es war schwierig, mit den Leuten zu reden", erzählt van der Linde. Und lacht: „Mitte 2014 bot mir Audi einen Vertrag als Werksfahrer an. Der Text war auf Deutsch und ich hatte wirklich keine Ahnung, was da steht." Heute spricht er perfekt Deutsch - und hat die Unterschrift nicht bereut.
Drei Jahre später kam auch sein jüngerer Bruder nach Kempten. Erst gaben die beiden zusammen für Audi Gas, hatten Erfolg in diversen Nachwuchsklassen – dann setzte der kleine Bruder zum Überholen an. Sheldon wechselte zu BMW – und wurde 2019 DTM-Pilot. „Das hat schon an mir genagt“, gibt der ältere Bruder Kelvin zu. Dafür gewann er 2019 das ADAC GT-Masters – und wurde schließlich 2021 von Audi befördert - ebenfalls in die DTM. Seitdem fährt er gegen seinen Bruder.
Bisweilen knallt es auch – sehr zum Ärgernis der Mama, die dann auch mal zum Telefon greift und ihren Jungs die Leviten liest. „Ja, es kann schon mal sein, dass wir uns von der Strecke rempeln und Streit haben. Aber nach fünf oder zehn Minuten geht es immer wieder“, sagt Sheldon. Neben seinem großen Bruder hatte er übrigens noch einen Lehrmeister: seinen ehemaligen BMW-Teamkollegen Timo Glock. „Ich habe von ihm viel für die Persönlichkeit gelernt. Wie arbeitet man mit seiner Mannschaft? Wie motiviert man sie, um die Mechaniker auf deine Seite zu ziehen?", sagt der Südafrikaner.
Dass er als neuer Meisterschaftsführender nun die besten Titelchancen in der DTM 2022 hat, liegt aber auch an der Hitzköpfigkeit des bisherigen Spitzenreiters Mirko Bortolotti. Der schied gleich nach zwei optimistischen Überholversuchen aus – und blieb dadurch in der Eifel sowohl im Samstag- als auch im Sonntagsrennen ohne Punkte. Am Samstag griff er ungestüm nach dem Rennsieg - und räumte dadurch sowohl sich als auch den führenden Felipe Fraga (Ferrari) ab. Sonntags kollidierte er ausgerechnet mit einem gewissen Kelvin van der Linde.
Auch der bisherige Tabellen-Dritte Rene Rast blieb am Nürburgring ohne Punkte. Der dreimalige DTM-Meister wurde am Samstag zunächst von Porsche-Pilot Laurens Vanthoor umgedreht, am Sonntag dann von Mercedes-Fahrer David Schumacher, dem Sohn von Ex-Formel-1-Pilot Ralf Schumacher, klassisch abgeschossen. Danach rastete der sonst so besonnene Rast kurz mal aus: „Die Verhaltensweise einiger Fahrer hier hat nichts mit professionellem Fahren zu tun. Manche sollten erst mal in die Nachwuchsserien, um Erfahrung zu sammeln."
Das nächste Rennen der DTM ist am 10. und 11. September in Spa-Francorchamps. Danach geht es an den Red-Bull-Ring nach Österreich (24. und 25. September), bevor am 8. und 9. Oktober das Meisterschaftsfinale in Hockenheim ansteht.