Ski alpin Das „Gesamtkunstwerk“ nimmt Abschied

Salzburg · Marcel Hirscher will an diesem Mittwoch seinen Rücktritt verkünden. Der alpine Skisport verliert seinen erfolgreichsten Star.

 Der Österreicher Marcel Hirscher hat den alpinen Skisport dominiert wie kein Zweiter. In zwölf Jahren Weltcup gewann er acht Mal die Gesamtwertung. Jetzt tritt der 30-Jährige zurück.

Der Österreicher Marcel Hirscher hat den alpinen Skisport dominiert wie kein Zweiter. In zwölf Jahren Weltcup gewann er acht Mal die Gesamtwertung. Jetzt tritt der 30-Jährige zurück.

Foto: AP/Gabriele Facciotti

Felix Neureuther zeigt sein verschmitztes Lausbuben-Lächeln. „Das ist echt schade“, sagt der beste deutsche Skirennfahrer a.D. über den erwarteten Rücktritt seines einstigen Rivalen Marcel Hirscher: „Ich hatte mich schon so darauf gefreut, Marcel technisch mal so richtig zu zerlegen.“ Doch dieses Vergnügen bleibt dem künftigen TV-Experten der ARD verwehrt.

Österreichs Jahrhundert-Skifahrer Hirscher wird, das ist in seiner Heimat längst kein Geheimnis mehr, an diesem Mittwochabend das Ende seiner außergewöhnlichen Karriere bekannt geben. Live im ORF und bei ServusTV, zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr. Auch wenn der Abschied nicht mehr überrascht: Die Ski-Nation ist in einem Schock-Zustand.

„Gibt es ein sinnvolles Ski-Leben nach Marcel Hirscher?“, fragten die Salzburger Nachrichten bestürzt. Die Haus- und Hofzeitung Krone würdigte das „Gesamtkunstwerk“ Hirscher, das die „größte Erfolgsstory in der Geschichte des österreichischen Sports“ geschrieben habe, auf 58 Dankeszeilen.

Hirschers Bilanz ist in der Tat ebenso beeindruckend wie unerreicht: In zwölf Jahren Weltcup gewann er unfassbare acht Mal die Gesamtwertung, reihte mit gnadenloser Beständigkeit 67 Siege aneinander und ließ das Unmögliche selbstverständlich erscheinen. Dazu kommen fünf Mal Einzel-Gold bei der WM und zwei Olympiasiege. Mit den Triumphen 2018 in Pyeongchang legte der heute 30-Jährige den Ruf des Unvollendeten ab. Wer ihn nach dem zweiten Coup beobachtete, wie dieser Kraftprotz körperlich und mental ausgezehrt kaum Freude zeigen konnte, der ahnte das baldige Ende seiner Karriere.

Im folgenden Sommer heiratete der Salzburger seine langjährige Freundin Laura, die er einmal als seine „Heimat auf Tournee“ bezeichnete, im Herbst kam der erste Sohn des Paares zur Welt. Die Geburt habe ihm gezeigt, „dass Blau und Rot nicht das Wichtigste ist“, sagte Hirscher später in Anspielung auf die Slalom-Stangen, die ihm über Jahre die Welt bedeuteten. Vorbei. Hirschers Perspektiven haben sich verschoben, weg vom Skisport.

Österreichs Nationalheld hat den Zirkus im Stile eines unersättlichen Kannibalen dominiert, für den es keine Grenze zu geben schien. Auch nach einem Knöchelbruch im Sommer 2017 reihte er weiter Sieg an Sieg. Das machte ihn zum Liebling der Massen, auch wenn er nie ein charmanter Entertainer vom Schlage eines Neureuther war. Als „Landei“ hat sich Hirscher selbst einmal beschrieben – immerhin als eines, das in den letzten Jahren „viel in der Welt herumgekommen“ ist.

Die Konkurrenz mag aufatmen, dem Zirkus aber wird sein Direktor fehlen. „Svindal weg, Hirscher weg, Vonn weg, das ist echt heftig“, sagt Neureuther angesichts der Abschiede zahlreicher Stars. Und, in aller Bescheidenheit, er selbst gehört ja auch zu den Neu-Rentnern. Weil der Winter 2019/2020 einer ohne Großereignisse ist, fällt das Servus der Ski-Größen wohl leichter.

Neureuther wird künftig den Experten geben, Aksel Lund Svindal und Lindsey Vonn widmen sich verschiedenen geschäftlichen Projekten. Und Hirscher? Das will er am Mittwoch verraten, wenn der fünfmalige österreichische „Sportler des Jahres“ (Rekord) unter dem Motto „Rückblick, Einblick, Ausblick“ ins Salzburger Gusswerk lädt.

Zuletzt hat sich der begeisterte Motocrossfahrer als MotoGP-Pilot in Spielberg gezeigt. Die zwei schnellen Räder könnten nach dem Abschied von den langen Latten den fehlenden Adrenalin-Kick ersetzen. Oder gibt er doch irgendwann ein Comeback? Seine größten Fans haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Die Ära Hirscher, „die ebenso phänomenal und einzigartig wie mitreißend und unglaublich war“, mag nun enden, schrieb die Krone. Aber: „Vielleicht findet er ja wieder Spaß an dem Sport, der ihn berühmt machte. Und überrascht alle...“

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