Wegen Festhalten an Olympia-Plänen Die Kritik der Athleten am IOC wird täglich größer

Tokio · Das Internationale Olympische Komitee sieht noch keinen Grund für eine Absage der Tokio-Spiele. Bis zur Eröffnung seien doch noch vier Monate Zeit.

 IOC-Präsident Thomas Bach sagt, es bestehe keine Notwendigkeit, die Olympischen Sommerspiele in Tokio bereits jetzt abzusagen.

IOC-Präsident Thomas Bach sagt, es bestehe keine Notwendigkeit, die Olympischen Sommerspiele in Tokio bereits jetzt abzusagen.

Foto: dpa/Jean-Christophe Bott

Das Olympische Feuer ist am Freitag in Japan angekommen, bei vielen Athleten erlischt die Flamme der Begeisterung für die Sommerspiele dagegen immer mehr. Der Traum jedes Sportlers ist durch die Coronavirus-Pandemie zum Albtraum geworden. „Jeder Tag, an dem die Sportler nicht trainieren können, wird es schwieriger, dass faire Spiele stattfinden können“, sagt Max Hartung, Vorsitzender des Vereins Athleten Deutschland. Dem für Tokio qualifizierten Säbelfechter fällt es wie vielen anderen schwer, Olympia abzuschreiben, weil es ein „Fixpunkt im Leben“ sei.

Turner Andreas Toba und Behindertensportler Niko Kappel fordern die sofortige Verschiebung von Olympia und Paralympics. „Nach der für mich sehr berührenden Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel habe ich mir viele Gedanken gemacht. Angesichts der immer deutlicheren Ansagen der Politik, Medizin und Wissenschaft ist mir klar geworden: Die Olympischen Spiele müssen verschoben werden“, sagt der 29-jährige Toba.

Para-Kugelstoßer Kappel sieht es genauso. Eine vernünftige Vorbereitung sei unmöglich geworden. Zudem gebe es nun wichtigere Problem auf der Welt als den Sport, so sehr ihn eine Verschiebung schmerzen würde, sagt der 25 Jahre alte Paralympics-Sieger von 2016: „Die Paralympics sind so nicht zu verantworten, weil es keine fairen Wettkämpfe mehr geben kann.“

Marathonläufer Philipp Pflieger tat sich zunächst schwer, die Notwendigkeit zu erkennen, dass die Tokio-Spiele nicht wie geplant am 24. Juli eröffnet werden sollten. „Wenn eines in Stein gemeißelt ist, dann die Olympischen Spiele“, habe er gedacht. Nun sagt er: „Ich halte eine Verschiebung um ein bis zwei Jahre nicht nur für realistisch, sondern für das Beste.“ Deshalb fordert der gebürtige Sindelfinger „ein dringend überfälliges Statement von Seiten des IOC, das sich an der Realität orientiert“, und keine „inhaltslosen Durchhalteparolen“ mehr.

Auch Ruder-Weltmeister Richard Schmidt fordert vom Internationalen Olympischen Komitee eine zeitnahe Entscheidung, „weil ja alle Sportler weltweit, die sich vier Jahre lang für Olympia gequält haben, faire Wettkämpfe wollen“, sagt das 32 Jahre alte Mitglied aus dem Deutschland-Achter. Dazu gehören auch nachvollziehbare Qualifikationen. „Aus mehreren Gesprächen habe ich herausgehört, dass manche Sportler verunsichert und teilweise wie paralysiert sind, weil sie nichts machen können“, berichtet der Athletensprecher der Ruderer.

Klare Position gegen eine Austragung bezog als erstes IOC-Mitglied Hayley Wickenheiser. Sie bezeichnete die Coronakrise als „größer als die Olympischen Spiele“. Wickenheiser gehört der Athletenkommission des IOC an und gewann mit Kanada vier Mal Olympia-Gold im Eishockey. Und sie weiß, wovon sie spricht: Als angehende Medizinerin arbeitet sie in der Notaufnahme.

Auf der Linie des inzwischen stark in die Kritik geratenen IOC-Präsidenten Thomas Bach bewegt sich dagegen die Athletenchefin des IOC, Kirsty Coventry. Sie ermutigte in einer Telefonkonferenz mit 220 Athletenvertretern, „weiter das zu tun, was sie tun“, und betonte danach, dass die „Athleten zu den Spielen nach Tokio fahren“ wollen. Bach zeigte sich über diesen „konstruktiven Austausch“ erfreut und versicherte, dass bei allen Erwägungen die Sicherheit und Gesundheit oberste Priorität habe. Bisher hätten sich 57 Prozent der rund 11 000 Athleten für die Spiele qualifiziert.

Sebastian Coe, Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes, will die Tokio-Spiele zwar auch nicht abschreiben, ist aber besorgt über die massiven Einschränkungen der Olympia-Qualifikation und sieht „keine Chancengleichheit“ mehr gewährleistet. Für den Sportrechtler Michael Lehner wäre eine zügige Olympia-Absage deshalb „ein Signal an die Welt“. Man könne doch nicht die kleinen Fußballspiele absagen, über Ausgangssperren nachdenken, die Schulen, Kindergärten und Unis schließen und meinen, „ich könnte im Juli Big Games machen“.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort