Sport-Philosoph Gunter Gebauer „Der Sport dient ja eigentlich dem Leben“

Sportphilosoph Gunter Gebauer zeigt sich von mancher Sportgröße in der Corona-Krise erschüttert und hält Geisterspiele für verwerflich.

 Sportphilosoph und -Wissenschaftler Gunter Gebauer.

Sportphilosoph und -Wissenschaftler Gunter Gebauer.

Foto: dpa/Horst Galuschka

Herr Gebauer, wie beurteilen Sie das Auftreten des deutschen Sports in der Coronakrise?

GUNTER GEBAUER Der Sport hat sich in Gestalt seiner Manager, Präsidenten und Entscheider wenig informiert präsentiert. Ich bin darüber erstaunt, fast erschüttert. Als die Krise bereits absehbar war, waren die Sportmanager immer noch der Meinung, man könne Spiele austragen, wie in Leipzig. Zu der Zeit hat in den Vereinen, ich denke etwa an Herrn Watzke von Borussia Dortmund, noch nicht jeder begriffen, dass wir es mit einer ganz schwierigen Situation zu tun haben, die den Wert des Fußballs relativiert. Der erste, der adäquat darauf reagiert hat, war Bundestrainer Jogi Löw.

Inwiefern?

GEBAUER Er hat ein Statement abgegeben, das sehr überraschend war, fast schon philosophisch, reflektiert, ja stoisch, in dem er klargemacht hat, dass es im Moment Dinge gibt, die viel wichtiger sind als Fußball. Das hätte ich einem führenden Vertreter des Fußballs in unserem Land gar nicht zugetraut.

Auf internationaler Ebene haben die Fußballer ihre EM früh verschoben, das IOC und Japan ließen sich mit der Verlegung von Olympia mehr Zeit. Haben sie dafür Verständnis?

GEBAUER Bei Olympia konnte IOC-Präsident Thomas Bach nicht allein entscheiden. Er musste sich mit der japanischen Regierung absprechen, die sich sehr störrisch angestellt hat. Es gibt eigentlich ein großes Misstrauen in Japan, eine große Krankheitsfurcht, gerade was Hygiene und Infektionen angeht. Insofern war mir als jemand, der einige Zeit in Japan gelebt hat, klar, dass diese Spiele im Sommer dort nie stattfinden können.

IOC-Präsident Thomas Bach wurde für sein langes Zögern von vielen Seiten kritisiert. Wie haben Sie ihn gesehen?

GEBAUER Es geht ja darum, dass Thomas Bach als einer der wichtigsten Leute im Weltsport ein Signal hätte geben sollen, das besagt, der Sport tritt im Augenblick gegenüber den überlebenswichtigen Notwendigkeiten zurück. Der Sport dient ja eigentlich von seiner ursprünglichen Idee her dem Leben, ja der Erhöhung des Lebens durch Leistung und Haltung. Aber in dem Fall ist diese Seite des Olympismus überhaupt nicht berücksichtigt worden.

Ex-Sportfunktionär Helmut Digel bemerkte, dass Thomas Bach in deutschen Medien seit Jahren zu Unrecht zum Buhmann abgestempelt werde. Sehen sie das ähnlich?

GEBAUER Ich finde die Berichterstattung nicht gemein oder unfair, sondern sie drückt eine Haltung aus, die sich nicht einfach alles gefallen lässt. In Deutschland gibt es dank der Qualitätszeitungen und der Qualitätsagenturen seit vielen Jahren eine kritische Berichterstattung über Thomas Bach, über das IOC, über die Fifa. Und diese Art des Journalismus sollten wir uns nicht nehmen lassen.

Die Verlegung der Spiele wurde letztendlich auch als Sieg der Athleten gefeiert. War es das?

GEBAUER Sie haben es sehr erfolgreich gemacht. Sie haben in Max Hartung einen couragierten Athletensprecher, der sich artikulieren kann und fähig ist, eine ganz klare und ethisch fundierte Haltung einzunehmen. Das war vorher nicht der Fall. Die Spiele werden ja im Wesentlichen von den Athleten getragen und nicht von den Funktionären. Aber die Athleten hatten bislang zu wenig Rechte, sich an den Entscheidungen zu beteiligen.

Der Fußball versteht sich als unverzichtbarer Unterhaltungsfaktor und plant Geisterspiele. Wäre das ein probates Mittel?

GEBAUER Ich befürchte, den deutschen Profiligen wird nichts anderes übrig bleiben, wenn sie denn Geisterspiele überhaupt austragen können. Rein ökonomisch spricht es dafür, dass man solche Spiele macht. Das ist eine Notmaßnahme zum Überleben der Bundesliga.

Dabei geht es wohl nicht ohne Sonderrechte, immerhin müssten viele Schnelltests ermöglicht werden. Hat der Fußball diesen Stellenwert in unserer Gesellschaft?

GEBAUER Da besteht eine Gefahr. Schnelltests sind in der Anschaffung gar nicht mal so teuer, aber man muss sie ja auch auswerten. Und das ist die Achillesferse. Es gibt keine deutschen Hersteller der Reagenzien, wir brauchen Hilfe aus dem Ausland. Deutschland kann mit maximal 700 000 Testergebnissen pro Monat rechnen. Wenn nun 20 000 Tests benötigt werden, allein um die Bundesliga-Saison mit Geisterspielen zu Ende zu bringen, ist das eine Menge angesichts der vielen gefährdeten Menschen, die diese Tests dringend benötigen. Ich halte das für unverhältnismäßig.

Bei aller Kritik gab es zuletzt im Fußball viele Zeichen von Solidarität wie Gehaltsverzicht von Profis oder Spendenaktionen. Als wie wichtig erachten Sie solche Gesten?

GEBAUER Ich glaube, das ist ganz wichtig. Der Fußball darf sich nicht als eine Sonderwelt betrachten, die abgekoppelt ist von den Notwendigkeiten und Zwängen, die überall herrschen. Gerade in diesen Zeiten sind solche Gesten enorm wichtig, damit die Kluft zwischen den Profis und der Basis des Fußballs nicht noch größer wird.

Wie wird es nach der Pandemie sein? Werden die guten Vorsätze wieder über den Haufen geworfen?

GEBAUER Schwer einzuschätzen. Ich denke, dass auch Leute, die sonst nicht zum Philosophieren neigen, nun darüber nachdenken werden, wie es weitergeht mit ihnen, mit ihrer Familie. Viele Familien haben Angehörige verloren und werden noch Angehörige verlieren. Corona rückt die Dinge ein bisschen ins Lot, nämlich, dass man erkennt, was im Leben wirklich wichtig ist, dass man nicht allein lebt.

 Die Olympischen Ringe vor dem Nationalstadion in Tokio sind in der Nacht angestrahlt. Sportphilosoph Gunter Gebauer, der lange in Japan gelebt hat sagt: „Es war klar, dass diese Spiele nicht im Sommer stattfinden können“. Gebauer spart auch nicht mit Kritik am Verhalten des deutschen Fußballs.

Die Olympischen Ringe vor dem Nationalstadion in Tokio sind in der Nacht angestrahlt. Sportphilosoph Gunter Gebauer, der lange in Japan gelebt hat sagt: „Es war klar, dass diese Spiele nicht im Sommer stattfinden können“. Gebauer spart auch nicht mit Kritik am Verhalten des deutschen Fußballs.

Foto: AP/Jae C. Hong

Welche Lehren muss der Sport aus der Corona-Krise ziehen?

GEBAUER Der Sport genießt in unserer Gesellschaft viele Privilegien. Das wird sich wohl ändern. Der Sport wird einen anderen Platz einnehmen, etwas herabgesetzter, nicht erniedrigt, darum geht es nicht. Der Sport ist wichtig für das Gemeinschaftsleben, aber man wird erkennen, dass es wichtigere Dinge im Leben gibt als ein Fußballspiel.

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