Fußball Ein Tor und ein Titel für die Ewigkeit

Rio de Janeiro · Der VfL Wolfsburg feiert am Samstag das zehnjährige Jubiläum der Meisterschaft. Ex-Torjäger Grafite kommt extra aus Brasilien.

 Eine „Jahrhundert-Szene“: Der Wolfsburger Grafite (Mitte) narrt die Bayern-Spieler Michael Rensing, Philipp Lahm (vorne), Andreas Ottl und Breno (von links) und schießt per Hackentrick zum 5:1-Endstand ein. Der Sieg wurde zur Grundlage des späteren sensationellen Meistertitels des VfL.

Eine „Jahrhundert-Szene“: Der Wolfsburger Grafite (Mitte) narrt die Bayern-Spieler Michael Rensing, Philipp Lahm (vorne), Andreas Ottl und Breno (von links) und schießt per Hackentrick zum 5:1-Endstand ein. Der Sieg wurde zur Grundlage des späteren sensationellen Meistertitels des VfL.

Foto: dpa/A3632 Jens Wolf

Ein Hüftschwung zwischen zwei Verteidigern, ein Haken um den Torhüter, und als sich dann gleich ein Quintett um ihn versammelte, narrte er alle rotzig per Hacke: Mit dem spektakulären Tor des Jahres beim demütigenden 5:1 gegen Rekordmeister Bayern München setzte sich Grafite an jenem 4. April 2009 ein Denkmal. Beim VfL Wolfsburg, in der Bundesliga, ja gar weltweit.

„Noch heute spricht man mich überall auf das Tor an, egal ob in Asien, Südamerika, hier in Brasilien immer, und erst recht, wenn ich nach Deutschland komme“, berichtet der 40-Jährige, der längst das Fußballtrikot gegen Designerklamotten getauscht hat und nun mit modischer Hornbrille zwischen kahlem Schädel und Vollbart fast allabendlich im brasilianischen Bezahlfernsehen für SporTV fachmännisch seine Kommentare zu Spielen abgibt.

„Hier in Brasilien heben dich die Kritiker in den Himmel und stürzen dich am nächsten Tag in die Hölle. Ich versuche, da ein bisschen anders zu sein“, plaudert Grafite vor dem Abflug an diesem Donnerstag gen Wolfsburg aus dem Nähkästchen. Für den Trainerjob sei er nicht geeignet, irgendwas im Management könne er sich jedoch schon vorstellen. Hauptsache wieder näher am Geschehen – wie damals, in der Meistersaison 2008/2009.

Das Traumtor, die Torjägerkanone, die Wahl zum Fußballer des Jahres, der Gewinn der Schale: Nicht nur für Grafite ist das Ehemaligen-Treffen zum zehnjährigen Jubiläum des einmaligen Bundesliga-Titels beim Saisonfinale am Samstag gegen den FC Augsburg eine nostalgische Reise. „Es fühlt sich an, als wäre es gestern gewesen“, schwelgt der Brasilianer in Erinnerung.

„Ich bin schon gespannt darauf, sie alle wiederzusehen. Zvjezdan Misimovic, Edin Dzeko, Christian Gentner, Makoto Hasebe. Selbst Josué habe hier in Brasilien schon lange nicht mehr getroffen“, bekundet Grafite, der mit den Jungs in der Meistersaison zur Halbzeit noch auf Rang neun gelegen hatte. Dann folgte eine unglaubliche Aufholjagd, auch weil er mit 28 Toren und Dzeko mit 26 Treffern den Uralt-Rekord der Bayern-Legenden Gerd Müller und Uli Hoeneß knackten, die 1972 und 1973 mit jeweils 53 Toren im Duett die Münchner zur Meisterschaft geschossen hatten. Die Bestmarke 54 ist bis heute gültig.

„Unser Zusammenspiel war einfach sensationell. Jeder hat von dem anderen profitiert“, erinnert sich Grafite und ergänzt verschmitzt: „Wir haben unser gebrochenes Deutsch benutzt, ein paar Brocken Bosnisch habe ich auch gelernt. Aber auf dem Platz haben wir Fußball gesprochen.“

Edinaldo Batista Libanio, der bei seiner ersten Profistation als dürrer Schlaks mit damals nur 78 Kilo, 13 weniger als in „Bestform“, den Spitznamen des in Bleistiftminen enthaltenen Minerals Graphit erhielt, kam im Sommer 2007 für 7,5 Millionen Euro vom französischen Erstligisten Le Mans, stürmte dann vier Jahre in der VW-Stadt, traf in 130 Pflichtspielen 75 Mal. „Der VfL war genau die richtige Entscheidung“, sagt der fünffache Familienvater (vier Töchter, ein Sohn) heute.

Wenn es mit dem Fußball nicht geklappt hätte, wäre er vielleicht Metallarbeiter geworden, „wie mein Vater“, der in der Meistersaison ausgerechnet vor dem Hinspiel gegen die Bayern verstorben war. Matonense, Ferroviaria, Santa Cruz, gar FC Seoul in Südkorea: Eine Traumkarriere beginnt anders. Der FC Sao Paulo wurde 2005 mit den Triumphen in der Copa Libertadores und bei der Club-WM dann zum „großen Schaufenster für mich“.

Grafite bestritt vier Länderspiele, drei davon als VfL-Stürmer, darunter sein Kurzeinsatz beim 0:0 im Vorrundenspiel gegen Portugal bei der WM 2010. Und bekräftigt rückblickend: „Auch wenn Wolfsburg in Deutschland und in Europa keine Topadresse war, habe ich dort alles erreicht, was eigentlich nur in großen Clubs machbar ist: Meisterschaft, Torjägerkrone, Spieler des Jahres, Seleção, WM.“

Ein Versprechen erfüllte sich jedoch nicht. „Kugelblitz“ Ailton, der Bremen fünf Jahre zuvor mit 28 Toren zur Meisterschaft geschossen hatte, stellte Grafite vor dem Saisonfinale 2009 für die Einstellung seiner Bestmarke eine Kuh und ein Pferd aus seiner privaten Ranch in Aussicht. „Die Geschichte ist leider nur eine Geschichte geblieben“, klagt das VfL-Idol noch heute.

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