Fußball-Bundesliga „Die Tabelle sieht doch geil aus“

Mönchengladbach · Borussia Mönchengladbach genießt Platz eins in der Liga. Christoph Kramer will die Euphorie keinesfalls bremsen.

 Rio-Weltmeister Christoph Kramer verkörpert die Leidenschaft, mit der sich Borussia Mönchengladbach an der Tabellenspitze der Fußball-Bundesliga festgesetzt hat.

Rio-Weltmeister Christoph Kramer verkörpert die Leidenschaft, mit der sich Borussia Mönchengladbach an der Tabellenspitze der Fußball-Bundesliga festgesetzt hat.

Foto: dpa/Marius Becker

Christoph Kramer würde später gerne mal Kriminalpsychologe werden. Dem Gladbacher Erfolgsgeheimnis ist der Fußball-Weltmeister von 2014 aber noch nicht so richtig auf der Spur. „Ich gucke fast jeden Tag auf die Tabelle und denke: Sieht doch geil aus“, sagt der Mittelfeldspieler. Aber woher kommt’s? „Vom Kader her können wir uns streiten, ob wir den viert- oder achtbesten der Bundesliga haben. Irgendwo da gehören wir hin. Alles andere ist dann eine krasse Überraschung.“

Insofern hat Borussia Mönchengladbach, das am Donnerstag den Vertrag mit Mittelfeldspieler Laszlo Benes vorzeitig bis Sommer 2024 verlängert hat, bisher genau das getan: krass überrascht. Nach elf Spieltagen thronen die Fohlen an der Spitze, mit vier Punkten Vorsprung auf den ersten Verfolger, was laut Kramer schon „unfassbar gut ist“. Nach der Länderspielpause, in der die Stadt alles ein wenig hat sacken lassen, geht es an diesem Samstag (15.30 Uhr) bei Union Berlin weiter.

Kramer sieht auch keinerlei Anlass, die allgegenwärtige Euphorie zu bremsen. Im Gegenteil. „Die Fans sollen träumen! Sie sollen Schalen ausschneiden und ins Stadion mitbringen. Die Euphorie kann tragen, das gehört dazu im Sport, das ist doch was Schönes.“ Die Borussen selbst hingegen sollen unbedingt auf dem Teppich bleiben – das geht so weit, dass Christoph Kramer irgendwann sogar um Verzeihung bittet: „Ich sage ein bisschen häufig das Wort realistisch.“

Selbstverständlich kennt der 28-Jährige alle Indizien. Die Zugänge beispielsweise haben fast allesamt eingeschlagen, und der neue Trainer Marco Rose scheint der fehlende Mosaikstein gewesen zu sein. „Menschlich ist er herausragend“, berichtet Kramer: „Wie er das bisher hinbekommen hat mit unserem Kader, mit jedem Einzelnen, das ist vielleicht das, was man am meisten unterschätzt.“ Taktisch läuft es auch: mit „Energie, Leidenschaft, Hingabe und Wucht“. Alles in Gladbach soll auch ein bisschen Unterhaltung sein.

Hinzu kommt eine Zutat, die ein Sportler erst dann schätzt, wenn sie fehlt: Ruhe. Bei Borussia Dortmund wechselt die Stimmung zwei Mal pro Woche zwischen Welt- und Kreisklasse, beim FC Bayern hat es gebrannt, bis Trainer Nico Kovac entlassen wurde. In Gladbach ist Chaos ein Fremdwort. „Man hebt hier nicht ab im Erfolgsfall, man wirft im Fall einer Niederlagen-Serie nicht alles um. Die Wellenbewegungen, dass heute alles cool und morgen katastrophal und übermorgen wieder cool ist, darf man nicht mitmachen“, betont Kramer. Das gelingt.

Er selbst ist dabei ein Fixpunkt. Intelligent, reflektiert, Kramer hat einiges erlebt. Wer in das neue Borussia-Museum geht, direkt am Stadion, der kann beim Audio-Führer Kramers Stimme wählen und dann sein Trikot aus dem WM-Finale bewundern. Damit die Mannschaft von 2019 dereinst in Gänze verewigt wird, muss sie ihren Lauf fortsetzen.

Kramer aber will sich zu keiner Prognose hinreißen lassen. Da ist es wieder, das Wort realistisch. „Es passiert so viel in so kurzer Zeit“, sagt er und blickt über seine Schulter ins Stadion: „Jetzt kann man schon wieder Adventskalender kaufen. Man muss sich im Fußball ganz krass alles immer wieder erarbeiten.“

So auch die Karriere nach der Profikarriere. Vielleicht ist er in 15 Jahren wirklich Fallanalytiker, denn „das ist total faszinierend“. Vielleicht aber auch Trainer, da wechselt seine Meinung momentan „gefühlt alle zwei Wochen“ – wie die Stimmung bei der Konkurrenz. Ganz vielleicht ist Christoph Kramer 2034 aber auch noch etwas völlig anderes: seit 14 Jahren deutscher Meister 2020. Es kann so schnell gehen.

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