Fußball Kuntz kämpft gegen „warnende Tendenzen“

Frankfurt · Dem deutschen Fußball drohen auf internationalem Niveau schwierige Zeiten. Die aktuelle Talentförderung zeigt deutliche Mängel.

 U21-Nationaltrainer Stefan Kuntz steht an der Seitenlinie, während im Hintergrund Luca Kilian ein Tor bejubelt. Kuntz’ Blick ist sorgenvoll.

U21-Nationaltrainer Stefan Kuntz steht an der Seitenlinie, während im Hintergrund Luca Kilian ein Tor bejubelt. Kuntz’ Blick ist sorgenvoll.

Foto: dpa/Robert Michael

Keine Länderspiele, keine Trainingseinheiten, weniger Tagungen und Lehrgänge zur Zukunft des deutschen Fußballs: Die Coronavirus-Krise bremst auch U21-Nationaltrainer Stefan Kuntz und seine Mannschaft. Die Länderspiele gegen Österreich und Wales Ende März sind ausgefallen, trotzdem müssen die Verantwortlichen für den Neustart nach der gesellschaftlichen Notlage gerüstet sein.

Wenn irgendwann wieder Fußball gespielt wird, haben die Fragen nach dem deutschen Nachwuchs wieder einen ganz anderen Stellenwert auf der Agenda. Beim Blick auf die Gesamtlage sei „eine negative Entwicklung zu sehen, bei der wir uns alle fragen müssen, wie wir sie gemeinsam positiv beeinflussen können“, sagt der Neunkircher Kuntz.

Auch ohne Länderspiele ist Kuntz mit seinen Spielern regelmäßig in Kontakt und beobachtet ihre Entwicklung, einige Tendenzen stimmen den 57-Jährigen nachdenklich. Lediglich der Mainzer Ridle Baku war aus seinem aktuellen U21-Kader zuletzt Stammspieler in der Bundesliga. Diese Tendenz belegt auch der Report der Deutschen Fußball Liga (DFL). In der Hinrunde der laufenden Saison waren demnach lediglich drei Prozent der eingesetzten Profis deutsche U21-Nationalspieler. Joti Chatzialexiou, sportlicher Leiter Nationalmannschaften, nennt diese Zahl „alarmierend“, Ansgar Schwenken von der DFL „bedenklich“.

Die Klasse von ausländischen Ausnahmekönnern wie Jadon Sancho (19) und Erling Haaland (19) von Borussia Dortmund oder dem Münchner Alphonso Davies (19) haben die deutschen Jung-Kicker nicht. Andere Wege sind gefragt, um trotzdem Spielpraxis zu bekommen. Kuntz hält gerade in unteren Ligen finanzielle Anreize für ein Mittel, um die Einsatzzeiten des deutschen Nachwuchses zu erhöhen. Auf der anderen Seite müsse man so ausbilden, „dass die Vereine sagen, das deutsche Talent ist genauso gut oder hat genauso eine Entwicklungsfähigkeit wie das ausländische Talent“.

Fast 20 Jahre ist es her, dass die deutsche Nachwuchs-Ausbildung nach der desaströsen EM 2000 reformiert wurde. Im Jahr 2020 befindet sich die Nationalmannschaft nach dem Vorrunden-Aus bei der WM 2018 im Umbruch, für den sie nach der Verlegung der EM ins Jahr 2021 noch etwas mehr Zeit hat. Auch in den deutschen Nachwuchs-Teams ab der U20 blieben zuletzt die Erfolge aus. Für die U19-EM, die U17-WM und die U20-WM war Deutschland im vergangenen Jahr nicht qualifiziert. Die U17 schied bei der EM bereits in der Vorrunde aus.

Ist also ähnlich wie vor 20 Jahren erneut ein radikaler Kurswechsel beim DFB nötig? „Es war damals dramatischer, es ging mehr um organisatorische und bauliche Maßnahmen“, sagt Kuntz. Diese seien heute gegeben, nun gehe es mehr um die „Inhalte der Ausbildung“ und die Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen. Dass das deutsche Talente-System weiterentwickelt und umstrukturiert werden muss, gilt inzwischen als Konsens. „Wir haben klare Anzeichen, dass wir uns wirklich massiv bewegen müssen im deutschen Fußball“, sagt DFB-Direktor Oliver Bierhoff: „Wir haben ganz klar warnende Tendenzen ausgemacht – besonders in den jüngeren Jahrgängen.“

Die Folgen der Versäumnisse in den vergangenen Jahren bekommt nun auch Kuntz zu spüren. Zwar führte er seine U21 2017 und 2019 zwei Mal in Serie bis ins EM-Finale, für die aktuelle Mannschaft gab es zuletzt mit einem 2:3 gegen Belgien in der EM-Qualifikation aber einen Dämpfer. „Bisher konnten wir – zumindest mit der U21 – immer noch gute Ergebnisse liefern. Aber irgendwann, das ist uns klar, trifft auch uns diese Entwicklung“, sagt der Europameister von 1996.

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