Fußball Klare Kampfansage an Hass und Hetze

Sinsheim · Der Eklat von Sinsheim und die Vorfälle in anderen Stadien haben den deutschen Fußball endgültig wachgerüttelt.

Der Tiefpunkt soll zum Wendepunkt werden: Der deutsche Fußball hat den 29. Februar 2020 zum Datum des Aufbruchs im Kampf gegen Hass und Hetze in den Stadien proklamiert. „Es muss aufhören. Ich werde mich nicht mehr wegducken“, sagte Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern München, der den Rekordmeister an die Spitze der Bewegung „gegen die Feinde unserer Sportart“ stellen möchte: „Mit dem heutigen Tag muss ein Umdenken stattfinden. Wir müssen alle zusammenstehen. Wir haben viel zu lange die Augen davor verschlossen, was in gewissen Kurven passiert ist.“

In den Fan-Blöcken mehrerer Arenen ist am Samstag etwas geschehen, was die Verantwortlichen der Clubs, der Deutschen Fußball-Liga (DFL) und des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) endgültig aufgerüttelt hat. Die abgesprochenen Hass-Aktionen der Ultra-Gruppierungen gegen Mehrheitseigner Dietmar Hopp von der TSG Hoffenheim, die von zahlreichen Beteiligten als Symptom der gesellschaftlichen Verrohung gegeißelt wurden, haben das Fass zum Überlaufen gebracht.

Vor allem die Münchner, bei denen Teile der Anhänger während der Partie bei der TSG (6:0) für den größten Eklat gesorgt haben, wollen nun Taten sprechen lassen. „Diese Leute, die sich geoutet haben, sagen immer, es ist ihr Verein – nein, es ist nicht ihr Verein! Wir wollen mit diesen Leuten beim FC Bayern nichts zu tun haben“, äußerte Rummenigge: „Man muss jetzt mit aller Intelligenz, aber auch mit aller Klarheit und mit aller Kraft, die der Fußball besitzt, dagegen vorgehen. Wir werden mit aller Schärfe reagieren, und diese Leute werden dafür zur Rechenschaft gezogen werden.“

In Sinsheim, wo sich der FC Bayern früh in einen Rausch gespielt und nach Belieben dominiert hatte, wurde die Partie aufgrund von Hass-Plakaten gegen Hopp zwei Mal unterbrochen. Schiedsrichter Christian Dingert führte die Mannschaften in der 77. Minute für eine Viertelstunde vom Feld. Vor dem Wiederanpfiff einigten sich die Teams auf einen „Nichtangriffspakt“, um so gegen die Vorfälle zu protestieren. Unter dem Applaus der Zuschauer spielten sich die Profis in den letzten 13 Minuten nur noch die Bälle rund um den Mittelkreis zu.

Auch bei den Partie Borussia Dortmund - SC Freiburg (1:0), 1. FC Köln - Schalke 04 (3:0), beim deshalb kurz vor der Pause für einige Minuten unterbrochenen Sonntagsspiel Union Berlin - VfL Wolfsburg (2:2) und beim sonntäglichen Zweitligaspiel VfL Bochum - SV Sandhausen (4:4) hetzten Ultras gegen Hopp – wie schon am vergangenen Spieltag in Mönchengladbach. Als Auslöser gilt die zuletzt vom DFB-Sportgericht ausgesprochene Kollektivstrafe gegen die BVB-Fans. Die Dortmunder Anhänger dürfen in den kommenden beiden Spielzeiten wegen ihrer Hopp-Schmähungen in der Vergangenheit nicht zum Auswärtsspiel ins Sinsheimer Stadion.

Der DFB-Präsident verteidigte das Urteil. „Der Teilausschluss war auf Bewährung ausgesprochen worden. Wenn man gegen eine Bewährung verstößt, dann wird es rechtskräftig. Dem Gericht ist gar nichts anderes übrig geblieben“, sagte Fritz Keller. Der Verbandsboss räumte Fehler („Manche haben recht, wenn sie sagen, wir hätten viel früher durchgreifen müssen“) ein, die nun ausgemerzt werden sollen: „Wir haben Hassbilder und Neid in unserer Gesellschaft – und jetzt auch im Fußball. Wir müssen jetzt alle an einem Strang ziehen. Jetzt muss durchgegriffen werden. So geht es nicht mehr weiter.“

Auch der DFL-Boss will „derartige Entgleisungen“ nicht mehr zulassen. „Jegliche Art von Hass darf keinen Platz haben, dies muss der Anspruch des gesamten deutschen Profifußballs sein“, äußerte Christian Seifert. Mit Worten, der Täter-Suche und juristischen Aufarbeitung vonseiten der Clubs sowie den Ermittlungen durch den DFB-Kontrollausschuss wird es aber nicht getan sein. Der gesamte deutsche Fußball muss sich auf eine einheitliche Linie einigen.

Das beginnt mit einer konkreten Definition, bei der die Frage geklärt werden muss, an welchem Punkt die Hetze (Rassismus, Homophobie) beginnt und der Schiedsrichter die Drei-Stufen-Vorgabe bis hin zum Spielabbruch umsetzen soll. Zudem muss das Verhältnis der Vereine zu ihren Ultras geklärt werden. Während Rummenigge laut über den Rauswurf der Gruppierungen nachdenkt, dürften sich andere Clubs schwieriger mit einer derartigen Maßnahme gegen die mittlerweile mächtigen Organisationen tun.

Obwohl sich der Fußball missbraucht fühlt und ein gesellschaftliches Problem als Ursache der Vorfälle sieht, soll die populärste deutsche Sportart nach dem Willen von Christian Streich in eine Vorreiterrolle schlüpfen. „Es ist schrecklich, was passiert“, sagte der Freiburger Trainer: „Und Fußball hat ein gewichtiges Wort. Genauso muss gehandelt werden.“ Ähnlich sieht es der Schalker Sportvorstand Jochen Schneider „Ich weiß nicht, auf welchem Weg unsere Gesellschaft ist – aber wir im Fußball sind da vorne mit dabei.“

 Bayern-Star Thiago hebt fragend die Arme in Richtung der eigenen Fans, die den Spielabbruch in Hoffenheim provozieren.

Bayern-Star Thiago hebt fragend die Arme in Richtung der eigenen Fans, die den Spielabbruch in Hoffenheim provozieren.

Foto: dpa/Tom Weller
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