Fußball „Olympia ist eine riesige Motivation“

Neunkirchen · Der U21-Nationaltrainer aus Neunkirchen spricht über die bevorstehende EM in Italien und San Marino und das große Ziel Tokio 2020.

 Vor zwei Jahren in Polen war Stefan Kuntz in aller Munde. Nach einem Jahr im Amt führte der Saarländer die deutsche U21-Nationalmannschaft direkt zum EM-Titel. Nun geht der 56-Jährige in sein zweites EM-Turnier – mit einer neuen U21, die Fußball-Deutschland aber genauso begeistern will.

Vor zwei Jahren in Polen war Stefan Kuntz in aller Munde. Nach einem Jahr im Amt führte der Saarländer die deutsche U21-Nationalmannschaft direkt zum EM-Titel. Nun geht der 56-Jährige in sein zweites EM-Turnier – mit einer neuen U21, die Fußball-Deutschland aber genauso begeistern will.

Foto: dpa/Armin Weigel

An diesem Sonntag beginnt in Italien und San Marino die U21-Europameisterschaft. 2017 in Polen führte der Neunkircher Stefan Kuntz die deutsche Mannschaft sensationell zum Titelgewinn. Der Vertrag des 56-Jährigen wurde vom Deutschen Fußball-Bund prompt bis ins Olympia-Jahr 2020 verlängert. Vor der EM spricht Kuntz im Interview über die deutschen Chancen der U21, WLAN im Hotel und seinen Titel als Polizei-Europameister.

Herr Kuntz, Sie haben als Spieler und als U21-Trainer den EM-Titel geholt. Weniger bekannt ist, dass Sie auch Polizei-Europameister wurden. Sie erinnern sich?

STEFAN KUNTZ Das müsste 1983 oder 1984 gewesen sein. Ich war Profi beim VfL Bochum – und Polizist. Irgendwann kam der Anruf, ob ich für die Polizei-Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft spielen könnte. Uwe Tschiskale und Michael Schulz waren auch dabei. Uns war sofort klar: Das machen wir. Dann sind wir wirklich Europameister geworden. Übrigens in Italien.

Steckt der Beruf des Polizisten noch immer in Ihnen?

KUNTZ Ja!

Wann merken Sie das?

KUNTZ Wenn mir jemand etwas erzählt und ich mit 48 Nachfragen alles herausbekommen will, bis mein Wissensdurst gestillt ist.

Und als Trainer? Sind Sie streng?

KUNTZ Ich bin davon überzeugt, dass Regeln eingehalten werden müssen. Das bedeutet nicht, dass jemand sofort nach Hause muss, wenn er fünf Minuten zu spät kommt. Bei der U21 haben wir die Regeln daher gemeinsam festgelegt. Das beginnt bei Kleinigkeiten wie der Kleiderordnung oder Pünktlichkeit.

Und endet wo?

KUNTZ Wir haben auch abgemacht, dass wir in den eineinhalb Stunden beim Essen nicht unbedingt die Handys brauchen. Mittlerweile habe ich den Eindruck, dass es den Jungs auch guttut, wenn sie nicht immer draufschauen müssen.

Das WLAN im Hotel schalten Sie nachts aber nicht ab?

KUNTZ Nein, da vertraue ich den Jungs. Ich glaube nicht, dass wir Spieler haben, die bis tief in die Nacht daddeln.

Bei der EM in Italien starten Sie als Titelverteidiger. Wann wäre der Trainer Stefan Kuntz am Ende zufrieden?

KUNTZ Unser Minimalziel ist das Halbfinale, ganz klar. Dann wollen wir gemeinsam den nächsten Schritt gehen.

Das wäre gleichbedeutend mit der Olympia-Teilnahme. Welche Rolle spielt Tokio 2020?

KUNTZ Olympia ist für uns alle eine riesige Motivation, das merke ich auch bei den Spielern. Durch Olympia 2016 und die Erzählungen der Jungs von damals haben sie mitbekommen, dass das ein riesiges Erlebnis war.

Dafür müssen Sie die Gruppenphase überstehen. Das scheint machbar oder?

KUNTZ Natürlich sehe ich unsere Stärke. Aber ich sehe zum Beispiel die Dänen wesentlich stärker als vor zwei Jahren. Die Serben sind ein Überraschungspaket, mit Luka Jovic haben sie eine sehr hohe Einzelqualität. Und Österreich wird ein extrem emotionales Spiel. Dort wird es keine Rolle spielen, ob jemand noch Gruppensieger werden kann. Es wird einfach darum gehen, einen Rivalen zu schlagen.

Wen sehen Sie als härteste Konkurrenten um den Titel?

KUNTZ Vor allem die Italiener, ganz klar. Die spielen ihre Heim-EM mit vielen A-Nationalspielern. Dann die Klassiker Frankreich, England, Spanien. Und normalerweise ist immer ein Team dabei, das überrascht.

Leroy Sané, Timo Werner, Kai Havertz und andere Nationalspieler hätten auch für Sie spielen können, laufen aber bei Joachim Löw auf. Warum?

KUNTZ Bei uns ist klar: Wenn sich ein Spieler in der A-Nationalmannschaft festgespielt hat, steht er nicht mehr für die U21 zur Verfügung. Es ist ja mein primärer Job, die Jungs so zu entwickeln, dass sie in der A-Mannschaft bleiben. Daher sind wir auch ein bisschen stolz, wenn die Jungs hochkommen.

Aber Lukas Klostermann und Jonathan Tah spielen diesen Sommer für beide Teams?

KUNTZ Bei Lukas haben wir von Anfang an gesagt, dass ihm als Kapitän ein Turnier guttut. Jonathan war 2016 bei der EM ohne Spielminute dabei, und er war mal bei der U19, die in der Vorrunde ausgeschieden ist. Da war dann auch Jogi der Meinung, dass ihm ein Turnier guttut für seine Entwicklung.

Die U19 hat dieses Jahr sogar die EM verpasst, die U17 ist in der Gruppenphase gescheitert. Müssen wir uns Sorgen machen?

KUNTZ In Deutschland machen wir Dinge oft eine Idee zu gut oder eine Idee zu schlecht. Aber natürlich haben wir erkannt, dass die Zahl der Wahnsinns-Talente in den einzelnen Jahrgängen ein bisschen zurückgegangen ist. Deswegen machen DFL und DFB sich Gedanken, welche Reformen sinnvoll sind. Damit haben wir vielleicht ein paar Jahre zu spät angefangen. Aber wichtig ist, dass Reformen kommen werden.

Wird es die U21 nun den Zweiflern zeigen?

KUNTZ Ich sehe die Spieler in unserer U21 nicht schlechter als die etwas mehr gehypten Talente aus England, Frankreich, Belgien, Holland oder Spanien. Deswegen würde ich mich freuen, wenn wir weit kommen und unsere Talente zeigen: Wir sind anders – vielleicht haben wir nicht diese Wahnsinns-Schnelligkeit oder dieses Wahnsinns-Dribbling, aber das Gesamtpaket ist dann nicht schlechter als das aus anderen Ländern.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort