Fußball Das „soziale Gewissen“ des DFB

Aachen · Der ehemalige Präsident Egidius Braun feiert seinen 95. Geburtstag. Als Krisenmanager bewahrte er immer Haltung.

 Seinen letzten großen Auftritt hatte Egidius Braun am 5. Juni 2019, als er eine öffentliche Trainingseinheit des DFB-Teams in Aachen besuchte.

Seinen letzten großen Auftritt hatte Egidius Braun am 5. Juni 2019, als er eine öffentliche Trainingseinheit des DFB-Teams in Aachen besuchte.

Foto: dpa/Marius Becker

Im Kreise der Nationalspieler um Manuel Neuer fühlte sich „Pater Braun“ so richtig wohl. Wie immer elegant gekleidet, im dunklen Sakko, weißen Hemd und mit weißem Hut posierte der ehemalige Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Egidius Braun, im vergangenen Sommer beim Training der Nationalmannschaft in seiner Heimatstadt Aachen für ein Gruppenbild – ehrwürdig, trotz körperlicher Schwäche. Ein Moment, der auch die Profis tief bewegte.

An diesem Donnerstag wird Egidius Braun 95 Jahre alt. Mit seiner Amtszeit als DFB-Chef von 1992 bis 2001 als Nachfolger des Saarländers Hermann Neuberger werden heute vor allem die sozialen Aktivitäten verbunden. Sein Motto, „Fußball – mehr als ein 1:0!“, wird heute noch vom Verband zitiert, die nach ihm benannte Stiftung unterstützt auch die von Braun 1986 initiierte Mexiko-Hilfe und notleidende Kinder. Für Wolfgang Niersbach, einen seiner Nachfolger, war Braun „das soziale Gewissen des deutschen Fußballs“.

„Die Werte, die Sie im DFB verankert haben, sind heute wichtiger und wertvoller als jemals zuvor. Wie groß Ihre Leistungen und Erfolge sind und wie weitsichtig Sie agiert haben, lässt sich daran ablesen, wie gegenwärtig Ihre Gedanken im DFB noch immer sind“, schrieb der aktuelle DFB-Präsident Fritz Keller in einem Glückwunschbrief an Braun: „Dem Alter begegnen Sie mit Würde und der Kraft, die sich aus dem imponierenden Zusammenhalt der Familie Braun ergibt. Wir wünschen Ihnen, dass Sie von dieser Kraft noch lange getragen werden.“

Für den DFB ist Braun aber auch die personifizierte Bezugsgröße an eine schon verklärte Zeit vor dem Sommermärchen-Skandal. Als Deutschland 2000 den Zuschlag für die WM 2006 erhielt, erholte er sich von einer schweren Herz-Operation. „Ich war doch schon tot. Und dann hat Deutschland die WM bekommen“, sagte er einst.

Die von der deutschen und der Schweizer Justiz untersuchten Vorwürfe gegen Ex-Funktionäre um Franz Beckenbauer und Niersbach betreffen ihn nicht. Die Tatsache, dass er der vorerst letzte DFB-Chef ist, der nicht nach Querelen oder Skandalen aus dem Amt schied, verdeutlicht die schweren Zeiten des Verbandes in diesem Jahrtausend. Gerhard Mayer-Vorfelder bekam für seine letzten Amtsjahre Theo Zwanziger als Co-Chef an die Seite gestellt, dieser trat 2012 nach internem Zwist zurück. Niersbach stolperte über die WM-Affäre und Reinhard Grindel über ein Uhrengeschenk aus der Ukraine.

In seiner Amtszeit erlebte Braun, der vor seiner Funktionärs-Karriere Jura und Philosophie studierte und sich auch als Kartoffelhändler selbstständig machte, den EM-Titelgewinn 1996 im Londoner Wembley-Stadion. Bei den Weltmeisterschaften 1994 und 1998 war er aber als Krisenmanager gefragt. Bei beiden Turnieren drohte der später „Pater Braun“ genannte Verbands-Chef sogar aus ganz unterschiedlichen Gründen mit Rückzug der deutschen Mannschaft.

Stefan Effenberg warf er 1994 nach der Stinkefinger-Affäre aus der Mannschaft. „Mit 10 000 Dollar hätten wir uns lächerlich gemacht bei den Einkommen der Spieler“, begründete er die radikale Strafe. „Lieber keine Nationalmannschaft als eine Nationalmannschaft ohne Vorbildfunktion“, lautete sein Grundsatz, als viele Mitspieler, auch die späteren DFB-Cheftrainer Rudi Völler und Jürgen Klinsmann, für einen Verbleib des Sünders plädierten. Braun blieb aber standhaft.

Noch viel schwerer bedrückten Braun die Geschehnisse 1998, als deutsche Hooligans bei der Weltmeisterschaft in Lens randalierten und den französischen Polizisten Daniel Nivel schwer verletzten. Der DFB-Präsident konnte damals nur mit einigen Mühen davon abgehalten werden, zurückzutreten oder die Mannschaft vom Turnier zurückzuziehen.

An der Schulter des im Juni 2019 verstorbenen Uefa-Präsidenten Lennart Johansson, der Braun als „meinen besten Freund im Fußball“ bezeichnete, schämte dieser sich auch seiner Tränen der Wut und Scham nicht. „Wir haben uns gegenseitig gestützt, getröstet, Mut gemacht und Ratschläge erteilt. Das werde ich nie vergessen“, schrieb Johansson Braun zum 90. Geburtstag: „Du bist ein wahrer Mensch.“

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