Fußball „Damals bin ich wilder gewesen“

München · Vor 40 Jahren hat Uli Hoeneß den Manager-Job bei Bayern übernommen. Im Interview blickt er auf vier bewegte Jahrzehnte zurück.

 Uli Hoeneß, der Präsident des Fußball-Bundesligisten FC Bayern München, wirkt im Interview alles andere als amtsmüde.

Uli Hoeneß, der Präsident des Fußball-Bundesligisten FC Bayern München, wirkt im Interview alles andere als amtsmüde.

Foto: dpa/Marijan Murat

Der Aufstieg des FC Bayern München zur Nummer 1 in Deutschland und einem Schwergewicht im internationalen Fußball ist maßgeblich mit dem Wirken von Uli Hoeneß verbunden. Vor 40 Jahren, am 1. Mai 1979, trat er mit 27 Jahren die Manager-Stelle an. Seit 2016 ist er zum zweiten Mal Präsident des deutschen Rekordmeisters. Amtsmüde wirkt Hoeneß im dpa-Interview nicht, zumal sein Lebenswerk mitten im Umbruch steckt.

Herr Hoeneß, welche Erinnerungen haben Sie an den 1. Mai 1979? Wie verlief Ihr erster Arbeitstag?

ULI HOENESS Ich war ganz unternehmungslustig und sehr motiviert, als ich in einem grauen Sakko ankam, einen Notizblock hatte ich unter den Arm geklemmt. Damals habe ich das alte Büro von Robert Schwan übernommen. Da stand ein Schreibtisch drin und ein Sideboard mit einem Telefon drauf – das war’s. Eine Sekretärin hatte ich nicht. Ich habe zwei Stunden rumtelefoniert, dann bin ich nach Hause gegangen.

Ihr Notizblock war vermutlich voll mit tollen Ideen?

HOENESS Nein. Da stand gar nichts drin. Aber danach ging es los. Ich hatte einen Bekannten, der Geschäftsbeziehungen nach Kuwait hatte. Da bin ich hingeflogen. Damals brachten Freundschaftsspiele in Deutschland nur 10 000 oder 20 000 Mark ein. Und ich dachte, es kann doch nicht wahr sein, dass der FC Bayern für solche Summen durch die Gegend fährt. Damals haben wir zwölf Millionen Mark Umsatz im Jahr gemacht. Wir hatten 20 Mitarbeiter, heute sind es 1000.

Merchandising, Sponsoring – gab’s das vor Ihrer Zeit schon?

HOENESS Merchandising gab es nicht. Wir hatten eine Poststelle. Da lag ein Schal aus, dazu ein paar Postkarten. Das war unsere Abteilung für Fanartikel.

Sie waren 27, als Sie Manager wurden. Hatten Sie keine Bedenken vor der Größe der Aufgabe?

HOENESS Meine erste schwere Knieverletzung habe ich 1975 im Alter von 23 Jahren im Europapokalfinale in Paris gegen Leeds Uni­ted erlitten. Eine Meniskusverletzung war damals keine Kleinigkeit. Heute macht man einen kleinen Schnitt, und der Spieler ist in 14 Tagen wieder fit. Ich hatte damals viel Zeit zum Nachdenken. Und Manager wollte ich sowieso mal werden, Trainer kam für mich nicht infrage.

Warum?

HOENESS Ich hatte immer eine besondere Beziehung zur wirtschaftlichen Seite des Fußballs. Robert Schwan, damals Manager des FC Bayern, konnte ich immer über die Schulter schauen. Er hat mich schon als Spieler als seinen Mini-Manager betrachtet. Wenn wir etwa in Südamerika waren, und es waren Hotelabrechnungen zu erledigen oder Flugumbuchungen, hat er mich immer mitgenommen.

Die Kommerzialisierung des FC Bayern hin zu einem Schwergewicht im Fußball dürfte Ihre wohl bedeutendste Leistung sein.

HOENESS Ich sah meine wichtigste Aufgabe darin, den FC Bayern unabhängiger von Zuschauereinnahmen zu machen. Als ich anfing, machten diese 85 Prozent des Umsatzes aus. Heute sind es bei 700 Millionen Euro Umsatz noch 18 bis 20 Prozent.

Sie haben auch das Fernsehen als ganz große Einnahmequelle erkannt. Sie sollen damals schon die Vision vom Pay-TV gehabt haben?

HOENESS Und bin dafür belächelt worden. Mit Gerhard Mayer-Vorfelder, dem damaligen Präsidenten des VfB Stuttgart, habe ich eine Interessensgemeinschaft gegründet. Die hieß „Aktion 50 Millionen“. So viel wollten wir unbedingt vom Fernsehen kriegen. Damals bekamen wir alles in allem 20 Millionen Mark. Wir wurden dafür beschimpft.

Live-Spiele im Fernsehen waren damals noch eine Ausnahme.

HOENESS Wenn ein Europapokalspiel nicht ausverkauft war, wurde oft erst am Spieltag entschieden, ob der Verein einer Live-Übertragung im Fernsehen zustimmt. Das waren harte Kämpfe zwischen ARD, ZDF und den Vereinen – herrlich.

Hätte der junge Hoeneß die Dinge mit der Erfahrung des 67 Jahre alten Hoeneß anders angepackt?

HOENESS Damals bin ich wilder gewesen. Ich bin heute viel milder in der Auseinandersetzung. Ich wollte mit dem FC Bayern nach oben kommen. Meine Auseinandersetzungen mit Gladbachs Helmut Grashoff, Bremens Willi Lemke oder anderen Managern waren legendär. Da habe ich viel mehr mit den Ellbogen gekämpft. Wenn man oben angekommen ist, kann man verteilen. Aber bis du ganz oben bist, musst du kämpfen.

Haben Sie die persönlichen Fehden mit Lemke oder später mit dem Trainer Christoph Daum auch als Antrieb gebraucht?

HOENESS Durch die Polarisierung haben wir den FC Bayern viel interessanter gemacht als die meisten anderen Vereine. Es gab viele Clubs in großen Städten, die Möglichkeiten hatten wie der FC Bayern: Ich denke an Hamburg, Köln, Stuttgart, Frankfurt, Berlin. Oder an 1860! In den 60er Jahren war Sechzig in München der große Verein.

Warum kann kein Verein dem FC Bayern dauerhaft Paroli bieten? Selbst Borussia Dortmund gelingt das, wie die sechs Jahre vor dieser spannenden Saison gezeigt haben, allenfalls temporär.

HOENESS Aber jetzt sind sie ein sehr ernstzunehmender Gegner geworden. Das liegt auch daran, dass sie mit Hans-Joachim Watzke und Reinhard Rauball in der Führung eine große Kontinuität besitzen, wie wir sie beim FC Bayern immer hatten. Ich bin jetzt 40 Jahre da. Dann kamen Franz Beckenbauer und Karl-Heinz Rummenigge. Wir haben versucht, bei Trainern und Manager wenig Fluktuation zu haben.

Ist Kontinuität also das Erfolgsgeheimnis des FC Bayern?

HOENESS Die schlechtesten Jahre beim FC Bayern waren immer die, wenn wir auf der Trainerposition recht große Fluktuation hatten. Ich denke, dass heute viele Vereine nach München schauen, was der Marktführer macht, und dann versuchen, das Beste abzukupfern.

Beckenbauer, Hoeneß, Rummenigge: Warum ist es Ihnen so wichtig, Spieler mit einer FC-Bayern-Vita an den entscheidenden Schaltstellen des Vereins zu installieren?

HOENESS Es ist hilfreich, wenn du in wichtigen Positionen Leute einbauen kannst, die Stallgeruch haben, die als Spieler die DNA des FC Bayern aufgesaugt haben. Das ist keine unabdingbare Voraussetzung, aber es ist hilfreich. Klar ist aber: Irgendwann müssen Karl-Heinz und ich hier die Plätze freimachen. Auch ich hatte mit 27, als ich angefangen habe, keine Ahnung, wie es geht. Aber ich habe es gelernt. Das war learning by doing. Die Chance gibt es auch jetzt für junge Ex-Spieler. Hasan Salihamidzic etwa macht einen sehr guten Job als Sportdirektor.

Wenn über die nächste Führungsgeneration beim FC Bayern gesprochen wird, fällt der Name Oliver Kahn.

HOENESS Wir sind in sehr konkreten Gesprächen mit Oliver. Wir sind aber nicht unter Zeitdruck, weil Karl-Heinz seinen Vertrag als Vorstandsvorsitzender bis Ende 2021 verlängert hat.

Was qualifiziert Kahn?

HOENESS Mir gefällt Olivers Entwicklung nach der Spieler-Karriere. Er hat sich als Experte im Fernsehen fantastisch entwickelt, ein Fernstudium in Betriebswirtschaft gemacht und eine Firma gegründet. Wir haben hier jemanden, der den Fußball als Torwart auf allerhöchstem Niveau erlebt hat und zugleich in der Lage ist, im wirtschaftlichen Bereich seinen Mann zu stehen.

Es war von einer Art Probejahr für beide Seiten die Rede. Wann beginnt dies?

HOENESS Es ist derzeit vorgesehen, dass es am 1. Januar 2020 losgeht.

Sie haben gerade 80 Millionen Euro für den französischen Weltmeister Lucas Hernández von Atlético Madrid ausgegeben. Die 100-Millionen-Marke ist ganz nah. Fällt sie noch in diesem Sommer?

HOENESS Dieses Jahr sicherlich nicht. Und ich muss zugeben, auch 80 Millionen hätte ich mir vor zehn Jahren nicht vorstellen können. Aber man muss berücksichtigen, dass wir in diesem Zeitraum auch unseren Umsatz verdoppelt haben. Da ist es klar, dass auch die Ausgaben zunehmen. Die Gehälter sind gestiegen, ebenso die Transfersummen. Dass sie diese Dimensionen erreicht haben, hat damit zu tun, dass ausländische Investoren, Oligarchen, amerikanische Hedgefonds und sogar ganze Staaten wie Abu Dhabi und Katar ins Fußballgeschäft eingestiegen sind.

Über die Rekordausgabe des FC Bayern für Hernández ist kontrovers diskutiert worden. Wie haben Sie das aufgenommen?

HOENESS Ich habe mich gewundert, dass unsere 80 Millionen so kritisch gesehen wurden. Vor Kurzem hieß es noch, mit seiner vorsichtigen Transferpolitik habe der FC Bayern keine Chance mehr, in die Phalanx der englischen und spanischen Topclubs oder von Paris einzudringen. Jetzt liefern wir, und die Leute schreien: Wie kann man für einen Spieler 80 Millionen ausgeben? Was hätten die Leute erst geschrien, wenn wir Mbappé gekauft hätten.

Würden Sie den gern zum FC Bayern holen? Paris hat schon vor knapp zwei Jahren 180 Millionen Euro für Mbappé bezahlt.

HOENESS Mbappé würde ich sofort kaufen. Der Spieler ist toll. Aber für den fehlt uns das notwendige Geld.

Kann ein Spieler tatsächlich mehr als 200 Millionen wert sein?

HOENESS Es geht nicht darum, ob ein Mbappé das wert ist. Die Frage lautet, ob es sich jemand leisten kann, dieses Geld auszugeben, ohne in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu geraten. Ich habe gelesen, das teuerste Bild der Welt hat bei einer Versteigerung fast 400 Millionen Euro gekostet. Ist ein Kunstwerk das wert? Natürlich nicht! Aber wenn es einer unbedingt besitzen will und so viel Geld dafür bezahlt, ist das letztlich seine Entscheidung.

Stichwort Geld: Waren Vertragsverhandlungen mit den Spielern in Ihrer Anfangszeit als Manager einfacher, weil nicht immer Berater im Spiel waren? War der clevere Manager Hoeneß da im Vorteil?

HOENESS Nein, weil ich nie jemanden über den Tisch gezogen habe. Die schönsten Verhandlungen waren übrigens die mit den Ehefrauen von Spielern, mit Martina Effenberg etwa. Mit Frau Schuster habe ich auch mal verhandelt, als wir Bernd zum FC Bayern holen wollten, was aber dann nicht geklappt hat.

Was waren die Meilensteine in der Entwicklung des FC Bayern?

HOENESS Ganz wichtig war, dass wir es geschafft haben, im Bereich Marketing sehr schnell in die europäische Spitzenklasse aufzurücken. Und als Jürgen Klinsmann 1995 als Spieler zu uns kam, haben wir richtig mit dem Trikotverkauf begonnen. Merchandising wurde zu einem Element. Mit Fanartikeln setzen wir 100 Millionen Euro im Jahr um. Ein Meilenstein war auch die Wiedervereinigung. Mit der Öffnung der Grenzen kam eine ganze Welle ehemaliger DDR-Bürger zu uns. Als ich 1979 anfing, hatten wir 8000 Mitglieder. Heute sind es fast 300 000. Ein weiterer ganz bedeutender Meilenstein war dann 2005 die Allianz Arena. Das Stadion hat den FC Bayern in eine völlig neue Welt geführt.

Sie haben die Bedeutung der Trainer für den Erfolg angesprochen. Sie haben viele erlebt – und manche auch entlassen müssen.

HOENESS Das ist das Schwierigste. Das sind Tiefpunkte der eigenen Karriere. Denn ich habe immer auch die menschliche Komponente gesehen. Ich kann mich an Fälle erinnern, da ist mir der Hals zugegangen, wenn man einem Mann, mit dem man jahrelang prima zusammengearbeitet hat, sagen musste, dass es nicht mehr weitergeht.

Können Sie Beispiele nennen?

HOENESS Die Entlassung von Jupp Heynckes 1991 habe ich ja schon oft als meinen größten Fehler bezeichnet. Verrückt war es auch bei Ottmar Hitzfeld. Den habe ich mit seinem Assistenten Michael Henke und den Ehefrauen zu mir nach Hause eingeladen. Meine Frau hat gekocht. Erst haben wir die Trennung besprochen und anschließend schön gegessen und bis 3 Uhr morgens gefeiert. So geht es auch. Otto Rehhagel haben wir 1996 nach einem verlorenen Spiel an die Säbener Straße kommen lassen, um ihm zu sagen, dass Schluss ist. Ich wäre im Büro von Franz Beckenbauer am liebsten unter dem Präsidententisch verschwunden. Franz war damals knallhart. Ich hätte das nicht machen wollen. Bei der Gelegenheit möchte ich auch einmal sagen, dass Rehhagel inzwischen ein sehr guter Freund von uns geworden ist.

Im November läuft Ihre Amtszeit als Präsident ab. Haben Sie sich persönlich eine Deadline an der Spitze des FC Bayern gesetzt?

HOENESS Ich werde mich nach der Saison in aller Ruhe mit meiner Familie zusammensetzen und bis Ende Juni entscheiden, ob ich noch einmal antrete oder nicht. Diesen Fahrplan kennen alle im Verein. Ich bin in der Sache total entspannt. Eines ist aber auch klar: Man darf sich nicht einbilden, dass man unersetzlich ist. Jeder ist ersetzbar. Der eine mehr, der andere weniger.

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