1. Fußball-Bundesliga Nach Relegation: HSV bleibt weiter zweitklassig – Hertha BSC feiert mit angezogener Handbremse

Hamburg/Berlin · Feierlaune war beim Geschäftsführer von Hertha BSC am Montagabend nach dem geschafften Klassenverbleib in der ersten Fußballliga nicht ausgebrochen. Fredi Bobic hat mit seinem Verein nur die Relegation vorzuweisen. Trainer Felix Magath ist trotz Erfolgs weg. Boateng will bleiben, der HSV nach dem missglückten Wiederaufstieg weiterkämpfen.

 Frust bei HSV-Fans nach dem verpassten Wiederaufstieg in die erste Fußball-Bundesliga.

Frust bei HSV-Fans nach dem verpassten Wiederaufstieg in die erste Fußball-Bundesliga.

Foto: dpa/Christian Charisius

Als Santiago Ascacibar mit einem großen Ghettoblaster aus der Hertha-Kabine marschierte und den Partysong „Vamos a la playa“ auf höchste Lautstärke drehte, war Felix Magath schon verschwunden. Mit Team-Doktor Hi-Un Park machte der Magier nach seinem Berliner Rettungswunder zum Abschied Erinnerungsfotos vor einer Bilderleinwand aus glorreichen Tagen mit seinem Konterfei im Hamburger Volksparkstadion. Der Trainer verpasste dadurch die imposante akustische Darbietung des argentinischen Antreibers.

 Führte Hertha BSC zum Klassenverbleib: Felix Magath.

Führte Hertha BSC zum Klassenverbleib: Felix Magath.

Foto: dpa/Christian Charisius

„Fürchterliche Musik“, hatte da gerade Geschäftsführer Fredi Bobic zwischen den Zähnen hervorgepresst. Und überhaupt, was gäbe es zu feiern? Keinen Titel, keinen Pokal hatte Hertha BSC mit dem 2:0 beim Hamburger SV geholt, sondern nur die Relegation mit Mühe und Not und mit einer von den Wenigsten für möglich gehaltenen Leistungssteigerung nach dem 0:1 im Hinspiel noch überstanden.

„Ich hatte ein gutes Gefühl, dass der Plan greift. Das war wichtig, aber ganz ehrlich: Den ganzen Relegations-Mist braucht kein Mensch“, moserte Bobic auch am Mikrofon des TV-Bezahlsenders Sky. Während sich Magath als großer Sieger mit einem üppigen Honorar und dem guten Gefühl, ein Experte für Rettungstaten zu bleiben bis zur nächsten Mission wo auch immer wieder von der Bundesliga-Bühne verabschiedet, beginnt für den 50-jährigen Bobic in Berlin nun die wirkliche Arbeit.

Die Hertha soll endlich in ruhige Fahrwasser kommen. Wenn wir darüber reden, was wir alles falsch gemacht haben, dauert das zu lange“, befand Routinier Kevin-Prince Boateng.

In grundlegenden Dingen wollte sich der zuletzt schmallippige Manager Bobic von der Euphorie in Hamburg nicht anstecken lassen. Zigarren, wie noch bei Ex-Trainer Pal Dardai bei der letzten Klassenerhaltsparty vor einem Jahr, gibt es diesmal sicher nicht. Das machte Bobic auch bei seinem immer noch nervösen Hin- und Herlaufen in der Mixed Zone gleich klar. Magath hat sich das Rauchen nach eigenem Bekunden schon vor 40 Jahren abgewöhnt.

BSC-Geschäftsführer Bobics hat viele und große Baustellen

Der Trainer: Zweimal lag Bobic bei der Trainerwahl falsch. An Dardai hielt er erst ohne Überzeugung fest, um ihn dann ohne große Not zu beurlauben. Nachfolger Tayfun Korkut war zu soft für die raue Berliner Fußball-Luft. Notnagel Magath lieferte, ist jetzt aber wieder weg. Der nächste Trainer muss sitzen, sonst wird Bobic unglaubwürdig. Topkandidat soll Sandro Schwarz sein, der in Russland mit Dynamo Moskau am Sonntag gegen Spartak Moskau noch das Pokalfinale bestreitet. Danach könnte Bewegung in die Personalie kommen.

Die Vereinsführung: Nach Carsten Schmidt geht offenbar auch Ingo Schiller. Dann ist Bobic der letzte Geschäftsführer im Amt. Er braucht Entlastung an seiner Seite, über die kann aber nur das Präsidium entscheiden, und auch da steht ein Wandel an. Allseits wird mit dem Rücktritt von Chef Werner Gegenbauer gerechnet. Sonst könnte es am Sonntag zu einer demütigenden Abwahl des Club-Patrons bei der Mitgliederversammlung kommen. Das Szenario wäre dann, dass in wenigen Wochen ein neuer Präsident bei einer außerordentlichen Mitgliederversammlung gekürt werden müsste.

Der Investor: Lars Windhorst gratulierte per Twitter. Der Millionen-Geldgeber bedankte sich vor allem bei Magath für die gute Arbeit. Mit dem Hertha-Establishment liegt er - mit Ausnahme von Bobic - über Kreuz. Der Vorwurf: Seine 375 Millionen Euro wurden nutzlos verbrannt. Jetzt will Windhorst mitreden und kündigt schonmal eine Ansprache bei der Mitgliederversammlung an. Ein Rückzug des Investors ist erstmal vom Tisch. Aber der Finanzfachmann wird sich nicht mehr abspeisen lassen und Einfluss nehmen wollen, so gut dass die Statuten zulassen.

Die Mannschaft: Bobic hat einen harten Schnitt angekündigt. Bislang lag er mit seinen Transfers oft arg daneben. Erstmal muss er auch Spieler loswerden und außer Niklas Stark hat noch keiner seinen Abschied verkündet. Die Verträge sind überwiegend ordentlich dotiert. Bobic muss also Abnehmer finden, wenn er den Kader erneuern will. Boateng hat schon gesagt, dass er gerne noch bleiben würde. Spannend wird, wie Bobic die Personalie um Torwarthoffnung Marcel Lotka löst, der einen Vertrag bei Hertha und bei Borussia Dortmund hat. Viel Arbeit wartet, von jetzt an ohne Retter Magath an der Seite.

Frust und maßlose Enttäuschung beim HSV

Der tiefe Frust und die maßlose Enttäuschung stand Tim Walter ins Gesicht geschrieben. „Momentan empfinden wir nur Leere“, sagte der Trainer des Hamburger SV nach dem Relegations-K.o. gegen Hertha BSC. Die durch die 0:2 (0:1)-Heimniederlage erneut verpasste Bundesliga-Rückkehr nagte an Walter, doch noch vor Mitternacht kündigte er den nächsten Angriff der Norddeutschen auf das Oberhaus an.

„Wir haben etwas angestoßen, sind aber noch nicht am Ende“, sagte Walter. In Hamburg sei „extrem etwas entstanden“. Ähnlich formulierte es HSV-Sportvorstand Jonas Boldt. „Das fühlt sich einfach beschissen an, das wird sich auch die nächsten Stunden nicht ändern“, so Boldt: „In den nächsten ein, zwei Tagen kommt die Energie dann zurück und dann geht es wieder mit voller Kraft voraus.“

Der Sportchef betonte, dass die Mannschaft im Gegensatz zu den vorherigen drei vierten Plätzen „einen Schritt nach vorn“ gemacht hätte, „von der Spielidee“ und „von der Identifikation. Es hat nicht viel gefehlt.“ Solange er „die Chance dazu habe, werde ich weiter voran gehen“. In den kommenden Tagen wird es eine Saisonanalyse mit Präsident Marcell Jansen und Aufsichtsratschef Thomas Wüstefeld geben.

Dem HSV blieb die Erstliga-Rückkehr auch im vierten Anlauf verwehrt. Der frühere Bundesliga-Dino war 2018 erstmals in seiner Geschichte abgestiegen. Nach drei vierten Plätzen scheiterten die Hamburger nun in der Relegation, für die sich die Hamburger erst durch fünf Zweitliga-Siege hintereinander qualifiziert hatte.

Kevin-Prince Boateng will bei Hertha BSC bleiben

Unterdessen denkt Kevin-Prince Boateng nach dem geglückten Klassenverbleib mit Hertha BSC noch nicht an ein Karriereende. Klar, ich habe noch Lust. Ich bin gut drauf, auch wenn man es nicht immer gesehen hat, ich war wieder da, genau, wenn es drauf ankommt, bin ich wieder da“, sagte der 35-Jährige am späten Montagabend nach dem 2:0-Sieg im Relegationsrückspiel beim Hamburger SV. „Ihr könnte schreiben: Der Prince ist back“, fügte Boateng an.

Boateng war im vergangenen Sommer von Geschäftsführer Fredi Bobic in seiner Heimatstadt Berlin zurückgeholt worden. Wegen mangelnder Fitness und Verletzungen kam er, wenn überhaupt, nur zu Teilzeiteinsätzen. In Hamburg spielte er über fast die komplette Spielzeit und machte bei seinem längsten von 19 Saison-Einsätzen einen sehr guten Eindruck. Boatengs Vertrag läuft mit Saisonende aus.

In der Hierarchie der Mannschaft nahm der einstige Profi von Eintracht Frankfurt, Tottenham Hotspur und dem FC Barcelona eine sehr wichtige Rolle ein. Der nach der Rettung scheidende Trainer Felix Magath hatte ihn kürzlich als einzigen echten Führungsspieler bezeichnet. Vor dem entscheidenden Spiel holte der Coach den Rat Boatengs ein und beteiligte ihn an der Entscheidung zur Aufstellung.

„Riesenrespekt an den Trainer, was für ein Feingefühl er hat. Es war klar, er ist ein spezieller Typ, ich bin ein spezieller Typ. Das kann entweder aufeinanderprallen oder wir verstehen uns besser – und wir verstehen uns besser. Er hat mir freie Hand gegeben, er hat mich gefragt, wen siehst du besser auf welcher Position, wir haben das zusammen super hinbekommen, das machen nicht viele Trainer“, sagte Boateng.

Der Neuaufbau mit der Hertha wird eine schwierige Aufgabe, meint der Mittelfeldakteur. Doch er wäre zur Mitarbeit bereit. „Wir werden sehr einsichtig sein. Wir werden viel reden, wenn ich dann noch mitreden kann, mal sehen, was passiert. Wir müssen ganz viel lernen, wir müssen Ruhe reinbringen. Wir müssen wieder eine Familie werden, so wie wir es heute waren. Das ist Hertha BSC, für Berlin“, sagte Boateng.

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