Protest-Sturm gegen Seehofers Energiepolitik

München · In letzter Sekunde schluckte Ministerpräsident Horst Seehofer einen Kraftausdruck hinunter: „Herrgottsa..

.", seufzte der CSU-Chef gestern im Landtag. "Man versteht die Welt nicht mehr." Der Anlass des unvollendeten Hergottsakraments: Nach dem dauernden Hin und Her in der Energiepolitik werden Seehofer und die CSU von einer Welle der Kritik überrollt. CSU-Politiker sind derzeit landauf, landab mit Protesten von allen Seiten konfrontiert.

Bayerns Firmen sorgen sich um die Strompreise und haben Angst vor Stromausfällen. Dort, wo neue Stromtrassen geplant sind, machen wütende Bürger ihren örtlichen CSU-Vertretern die Hölle heiß - und diese wiederum den CSU-Oberen. Andere CSU-Lokalpolitiker sind verärgert, weil ihre Gemeinden bereits viel Geld für die Planung neuer Windräder ausgegeben haben, die sie möglicherweise in den Papierkorb befördern müssen.

Doch Seehofer will von den Schwierigkeiten nichts wissen, in die er sich selbst, die CSU und die Staatsregierung manövriert hat: "Wir sind in Bayern an der Spitze bei der Umsetzung der Energiewende." Doch läuft im Jahre drei nach Fukushima beim Atomausstieg in Bayern fast nichts wie 2011 geplant. Atomkraftwerke produzieren fast die Hälfte des in Bayern verbrauchten Stroms. Es fehlt konventioneller Ersatzstrom, es fehlt ein Konzept für den Leitungsbau. Nach bisherigem Stand drohen ab Ende 2015 Stromausfälle, wenn das unterfränkische Kraftwerk Grafenrheinfeld abgeschaltet wird.

Nun bremst Seehofer wegen der wütenden Bürgerproteste von Oberfranken bis Schwaben auch die Planung einer geplanten großen Gleichstromtrasse, die die CSU bisher ausdrücklich unterstützte. Grund: die Angst der CSU-Kommunalpolitiker vor Stimmverlusten bei den Kommunalwahlen am 16. März.

Auf der anderen Seite steht die Wirtschaft: Es werde immer deutlicher, "dass Deutschland und besonders Bayern sich zur Energiewende entschlossen haben, ohne vorher über die Konsequenzen nachzudenken", sagte der bayerische Handwerkspräsident Heinrich Traublinger.

"Wir führen in Bayern eine Bananenrepublik ein", schleuderte der Freie-Wähler-Abgeordnete Thorsten Glauber Seehofer im Landtag entgegen. "Eine solche ignorante Verweigerungshaltung ist unverantwortlich", sagte SPD-Fraktionschef Markus Rinders-pacher. Seehofer war deswegen offensichtlich so verärgert, dass er den Plenarsaal verließ.

Doch der schwer wiegendste Vorwurf kam von den Grünen: Deren Fraktionschef Ludwig Hartmann stellte Seehofer unter Leichtmatrosen-Verdacht. Aus Grünen-Sicht ist Seehofer schlicht überfordert mit dem schwierigen Thema Energiewende: "An Inkompetenz war das nicht mehr zu überbieten."

2011 setzte Seehofer nach dem Atomunglück in Fukushima gegen heftigen Widerstand seiner Parteifreunde den Atomausstieg 2022 durch, weil die Bürger ihn wollten. Doch unterschätzte der Bauchpolitiker den Widerstand, den neue Windräder und neue Stromtrassen in der bayerischen Bevölkerung auslösen würden. Und um Ärger zu vermeiden, ist die Seehofer-CSU nun gleichzeitig gegen alles, was unpopulär ist: Atomstrom, Windräder und neue Stromleitungen. Doch die Strategie, es möglichst allen recht machen zu wollen, hat nun dazu geführt, dass Seehofer von allen Seiten angegriffen wird.

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