Spirituelle Vitamin-Spritze

Meinung · Ob kreuzbrav, quicklebendig oder aufmüpfig - der Katholikentag in Osnabrück zeigt abermals die bunte Vielfalt engagierter Christen. Die Frage, wie Kirche und Gesellschaft fit für die Zukunft gemacht werden können, zieht sich wie ein roter Faden durch das Programm

Ob kreuzbrav, quicklebendig oder aufmüpfig - der Katholikentag in Osnabrück zeigt abermals die bunte Vielfalt engagierter Christen. Die Frage, wie Kirche und Gesellschaft fit für die Zukunft gemacht werden können, zieht sich wie ein roter Faden durch das Programm. Das biblische Leitwort "Du führst uns hinaus ins Weite" ist dabei Zusage und Aufforderung zugleich, aus dem christlichen Glauben heraus eine lebenswerte Zukunft mit zu gestalten.Politisch gedeutet heißt das für katholische Christen: Farbe bekennen, sich lautstark einmischen in einer Gesellschaft, in der es nur noch "christliche Restbestände" gibt (der Theologe Karl Rahner). In der dem ADAC mehr Vertrauen entgegengebracht wird als der real existierenden Kirche. Es muss ein Stachel im Fleisch jedes Christen sein, dass der Reichtum dieser Welt ungerecht verteilt ist, in Deutschland die Kluft zwischen Arm und Reich weiter wächst und Kinder ein Armutsrisiko für Familien sind. Auch Osnabrück macht wieder deutlich: Es ist die Amtskirche selbst, die sich für Reformen neu öffnen und ihr Profil schärfen muss. Weniger Geld in der Schatulle der Diözesen, anhaltende Kirchenaustritte, weniger Gottesdienstbesucher, ein beängstigender Priestermangel - diese Fakten gehören auch zum deutschen Katholizismus. Viele Reformkatholiken fragen zu Recht, wie es um die Abschaffung des Zölibats, der verpflichtenden Ehelosigkeit für Priester, um das gemeinsame Abendmahl von Katholiken und Protestanten oder die Priesterweihe für Frauen bestellt ist. Schade, dass diese Themen in Osnabrück nur am Rande eine Rolle spielen. Etwas mehr Irritation, mehr Verunsicherung festgefahrener Ansichten hätten gut getan. Für kritisch-engagierte Laien ist klar: Tief greifende Reformen lassen sich unter dem konservativen Papst Benedikt nicht verwirklichen. Die mangelnde Sensibilität Roms im christlich-jüdischen Dialog ist dafür ein trauriges Beispiel. Die Zulassung der Karfreitags-Fürbitte (Bekehrung der Juden zum Christentum) - ein folgenschwerer Eklat. Vor allem junge Christen fragen sich, was den Papst in dieser Frage geritten hat. Sie sind nicht glücklich über die Entwicklung. Es scheint, als hätten Katholikentage ihre gesellschaftspolitische Seismographen-Funktion teilweise verloren. Das tägliche Leben vieler Menschen hat sich jedenfalls von der Kirche entfremdet. Und viele unruhige innerkirchliche Reformer sind beim Gang durch die Institutionen der Amtskirche müde geworden. Dennoch: Ohne diese Laientreffen als spirituelle Vitamin-Spritze für junge und ältere Christen wäre das kirchliche Leben in Deutschland ärmer.

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