Schäfer gewinnt Gold Der Sprung, der die ganze Welt fasziniert

Saarbrücken/ Montreal · Sie kann es selbst kaum glauben: Die Saarländerin Pauline Schäfer holt historisches Gold am Schwebebalken – und ihre Heimat ist sprachlos.

 Ihr Seitwärtssalto ist inzwischen weltweit als „Schäfer-Salto“ bekannt: Er bescherte der Saarländerin Pauline Schäfer bei der Turn-WM in Montreal Gold am Schwebebalken. 

Ihr Seitwärtssalto ist inzwischen weltweit als „Schäfer-Salto“ bekannt: Er bescherte der Saarländerin Pauline Schäfer bei der Turn-WM in Montreal Gold am Schwebebalken. 

Foto: dpa/Paul Chiasson

() Sie fiebern auf der Couch mit. Kleben am Bildschirm, am Live-Stream aus Montreal. „Es fühlt sich so an, als ob man selber dort steht“, sagt Sarah Härdter, Zweite Vorsitzende des Turnvereins Pflugscheid-Hixberg in Riegelsberg. Auch einen Tag danach weiß Härdter nicht, „wohin mit den Gefühlen“. Riegelsberg ist stolz. Verdammt stolz auf seine Pauline. Denn so heißt die junge Frau aus dem saarländischen Bierbach, die am Sonntagabend in Montreal deutsche Turn­geschichte schreibt. Goldmedaille am Schwebebalken. Für eine deutsche Turner­in ist es die erste seit 30 Jahren, die zweite überhaupt in der Geschichte.

Nicht nur ihr Heimatverein kann sein Glück kaum fassen. Auch sie selbst hat Schwierigkeiten, den Sensationserfolg zu verarbeiten. So stößt Schäfer in der Hotellobby erst einmal nur mit Orangensaft an, geht danach noch in eine Diskothek im Alten Hafen von Montreal. „Das wird wohl noch ein paar Tage dauern, bis ich das realisiere“, sagt die 20-Jährige, nachdem sie sich gemeinsam mit Bronze-Gewinnerin Tabea Alt immer wieder mit der edlen WM-Medaille in Form eines Bagels fotografieren lässt.

Ihre Heimtrainerin Gabi Frehse reagiert in der Stunde der Entscheidung im 6000 Kilomter entfernten Chemnitz ähnlich wie Sarah Härdter vor dem Bildschirm in Riegelsberg: Die Tränen fließen. Genau wie Härdter ruft auch Frehse ihren Schützling sofort an. „Pauline hat mir gesagt, ich soll nicht so viel heulen. Aber ihr Sieg ist einfach unglaublich.“ Frehse ist es, die Schäfer bestärkt, ihren berühmten Seitwärtssalto mit halber Schraube zu entwickeln. Er trägt mittlerweile ihren Namen. Der „Schäfer-Salto“ ist am Ende genau das, was der 20-Jährigen die entscheidenden Zehntel zum Sieg vor Mehrkampf-Weltmeisterin Morgan Hurd aus den USA und der Ludwigsburgerin Tabea Alt einbringt.

Nach dem Triumph ist Schäfer so mitgenommen, dass sie sich gar nicht mehr recht an die Übung erinnern kann. Nur so viel: „Der Moment, als ich ans Gerät ging, war richtig schlimm.“ Von dieser Nervosität ist im Olympic Stadium mit 10 000 Zuschauern nichts zu spüren. Routiniert und perfekt spult der Profi sein Programm ab, erinnert schon ein wenig an Fabian Hambüchen, der zehn Jahre zuvor in Stuttgart den bis dato letzten WM-Erfolg für Deutschland erturnt hatte.

Die Leistung der Balken-Spezialistin, die seit fünf Jahren am Bundesstützpunkt in Chemnitz trainiert, ist auch deshalb so bemerkenswert, weil sie drei Wochen vor der WM-Qualifikation bei einem Trainingsunfall am Sprung eine Rückenverletzung erleidet. Die Vorbereitung auf die Meisterschaften ist eingeschränkt, Schmerzen sind in den letzten Wochen ihr ständiger Begleiter. Kurz nach dem Sieg belohnt sie ihr Freund Andreas Bretschneider mit einer Massage. Zuvor kann auch der Reck-Spezialist ein paar Tränen der Rührung nicht unterdrücken.

Erstmals in der WM-Geschichte klettern mit Schäfer und Alt gleich zwei Athletinnen des Deutschen Turner-Bundes aufs Podest. Dass die Nummer eins diesmal eine wasch­echte Saarländerin ist, macht Franz Josef Kiefer besonders stolz. Der Vorsitzende des Saarländischen Turnerbunds kennt „Pauline“ seit ihrer Zeit als Schülerin auf dem Gymnasium am Rotenbühl. Damals sei Schäfers Talent schon nicht zu übersehen gewesen. „Ihr Ehrgeiz war auffallend“, sagt er. Vor fünf Jahren sei es schwergefallen, sie nach Chemnitz ziehen zu lassen.  Doch Kiefer räumt ein: „Wir haben die Vorarbeit geleistet, aber hier hätte sie nicht ihr volles Potenzial ausschöpfen können.“ Mit „hier“ meint Kiefer die Hermann-Neuberger-Sportschule, Schäfers Turnstützpunkt seit ihrem fünften Lebensjahr. Bereits mit vier Jahren tritt die heutige Sportsoldatin in ihren Heimatverein in Riegelsberg ein. Ihre damalige Übungsleiterin Gisela Heller entdeckt sie sofort. Als die Gemeinde ihr Ausnahmetalent vor zehn Jahren zur Sportlerin des Jahres kürt, sagt Heller strahlend: „Ich wusste gleich, dass sie eine Große wird.“

Das weiß auch der Präsident des Landessportverbands Saar, der am Tag nach dem historischen Sieg von einer „Riesen-Auszeichnung für die Trainer im Saarland“ spricht. Es sei auch ein WM-Sieg für den Saar-Sport. Nur ein kleiner Wermutstropfen trübt die Euphorie: „Wir müssen damit leben, dass Top-Kräfte in den Bundesstützpunkt wechseln.“ Aber Schäfer sei trotzdem Saarländerin geblieben, eben eine Weltmeisterin aus der Region. Die werde auch der Landessportverband bald gebührend ehren. Wann genau, das hänge davon ab, wann sie wieder im Saarland sei. Eine gute Frage. Denn Schäfers Kalender ist bis Jahresende gerüttelt voll.

 Sprachlos vor Rührung: Pauline Schäfer nach der Verleihung der Goldmedaille am Sonntagabend in Montreal. 

Sprachlos vor Rührung: Pauline Schäfer nach der Verleihung der Goldmedaille am Sonntagabend in Montreal. 

Foto: dpa/Paul Chiasson

In den kommenden Wochen stehen noch einige Bundesliga-Kämpfe an. Ende des Jahres auch ein Bundeswehr-Lehrgang in Warendorf. Nebenbei macht die junge Frau ihr Abitur an der Abendschule. Strammes Programm. Ein Leben wie ein Spagat auf dem Schwebebalken. Eins, das Sarah Härdter und ihre Vereinsfreunde aus Riegelsberg bis heute begleiten: „Schon als sie acht war, haben wir uns Pauline bei den Olympischen Spielen vorgestellt.“

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