Basketball Der letzte Tanz der Basketball-Giganten
Chicago · Eine neue, faszinierende Dokumentation begleitet hautnah die letzte Saison der legendären Chicago Bulls um Michael Jordan.
Es klopft an einer unscheinbaren Hotelzimmertür in Peoria/Illinois. Einmal. Tocktock. Zweimal. Dann blickt Michael Jordan in einen Pfuhl der Exzesse. „Da war unsere gesamte Mannschaft. Koks. Marihuana. Frauen“, berichtet Jordan 36 Jahre später, und er schmaucht dabei selbst eine obszön lange Zigarre: „Sowas hatte ich kleiner Kerl noch nie gesehen.“
1984 ist Michael Jordan ein „Rookie“ bei den Chicago Bulls, ein grünschnabeliger Profi im ersten Jahr, ein hypertalentierter, dennoch namenloser Frischling von der Uni North Carolina, der den anderen die Schuhe hinterhertragen muss. Er beschließt bei diesem Anblick: „Ich bin raus.“ Keine Drogen, kein Alkohol – nur Basketball.
So sagt Jordan es in der herausragenden ESPN-Dokumenation „The Last Dance“, die seit Montag bei Netflix läuft. Sie handelt von der letzten Saison der besten Basketball-Mannschaft, die die Welt je gesehen hat. Von jenen alternden Bulls, die 1998 in der NBA mit einem finalen Hammerschlag eine Dynastie krönen wollen, angestachelt von ihrer legendären Nummer 23. „Die Leute werden sagen, ich war ein Tyrann“, befürchtet Jordan.
ESPN bekam damals „All Access“, unbeschränkten exklusiven Zugang. Knapp 500 Stunden Material wurden gedreht. 20 Jahre später gab Jordan grünes Licht, die losen Fäden zu einer Geschichte zu spinnen. In Amerika ist „The Last Dance“ ein Lagerfeuer-Ereignis, wie es in Deutschland „Wetten, dass...?“ war: Man muss es gesehen haben.
„Wir hielten uns für das beste Team, das es je gegeben hat“, sagt Scottie Pippen, selbst ein Gigant und immer im Schatten von Jordan. Wie sich die Puzzleteile zusammenfügen, wie der Club im Schock über Jordans Talent versteht, dass auch der beste Spieler der Welt grandiose Nebenleute benötigt, macht einen Teil der Faszination aus.
Vor der Saison 1997/1998 hingegen stellt sich längst die Sinnfrage. Neuaufbau oder noch ein Jahr? „Ich habe euch 1984 versprochen, dass wir Meister werden, bevor ich euch verlasse“, sagt Jordan vor dem ersten Spieltag: „Jetzt haben wir fünf Titel. Und wir wollen einen sechsten.“ Und den holten sie schließlich durch ein 4:2 in der Finalserie gegen die Utah Jazz um John Stockton und Karl Malone.
Die Serie lebt längst nicht nur von Jordan, dem Allergrößten. Da ist Jerry Krause, der kleine, eigenwillige Manager, dem ständig der Bauch aus der Hose zu fallen droht. Der alle zur Hochzeit seiner Stieftochter einlädt, aber nicht Cheftrainer Phil Jackson, mit dem er – ebenso wie mit Pippen – heillos zerstritten ist.
Der frühere Bulls-Center Bill Wennington scheint in einer Trucker-Spelunke interviewt zu werden. Er sieht aus, als gehöre er mit Bart und roter Nase dort auch hin. Da ist Rebound-König Dennis Rodman, der als Braut oder Drag Queen auftritt und einem Fotografen kraftvoll in die Weichteile stiefelt. Barack Obama, der das Team bewunderte, äußert sich. Auch Bill Clinton.
Über allem aber steht Michael Jordan, dessen Arbeitsethos und einmalige Einstellung zum Sport überdeutlich wird. Der Kraft aus dem Ringen um die Aufmerksamkeit seines Vaters zieht. „Ich will um jeden Preis gewinnen. Notfalls im Alleingang“, sagt er in der zweiten Folge: „Kann ich das nicht, dann drehe ich durch.“ Und es entwickelt sich ein Spieler, der immer besser wird, je größer die Bühne ist. Ein Mann, der in jeder Sekunde ausstrahlt: „Gib mir das Ding – ich mach’s rein.“
Irgendwann wird Larry Bird eingeblendet, der wahrscheinlich beste weiße Basketballer der Geschichte. Bird lacht beim Gedanken an das erste Playoff-Duell mit Michael Jordan. Noch gewinnen die Boston Celtics, doch eine neue Ära zieht herauf. „Da hat nicht Michael gespielt“, sagt Bird. „Das war Gott selbst.“ Nur eben in Basketballschuhen.