Hirnforschung Sport hält unser Gehirn bis ins hohe Alter fit

Saarbrücken · Kinder und Erwachsene, die regelmäßig körperlich aktiv sind, haben ein gesünderes und leistungsfähigeres Gehirn als Bewegungsmuffel.

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Foto: SZ

Gehirnforscher nennen drei wesentliche Voraussetzungen für geistige Gesundheit bis ins hohe Alter:

1. leistungsfähige Blutgefäße im Gehirn, die die Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen sicherstellen können.

2. leistungsfähige Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen (Synapsen), um Informationen und Signale schnell und zuverlässig weiterzuleiten.

3. leistungsfähige Gehirnzellen (Neuronen), um Informationen der Sinnesorgane (Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, Tasten, Gleichgewichtssinn) und aus den Gedächtnisspeichern aufzunehmen und zu verarbeiten.

Jeder Mensch hat auf die Gesundheit seines Gehirns großen Einfluss. Am wirksamsten ist regelmäßige körperliche Bewegung. Das ist in zahlreichen wissenschaftlichen Studien nachgewiesen worden.

Sportliche Kinder sind schlauer: Dr. Laura Chaddock von der Universität von Illinois stellte 73 Kinder im Alter von sieben bis neun Jahren aufs Laufband, um die Auswirkungen der körperlichen Anstrengung aufs Gehirn zu untersuchen. Es zeigte sich, dass die sportliche Aktivität zu einer besseren Durchblutung des Gehirns führte. Auch der Hippocampus wurde besser mit Sauerstoff versorgt. Der Hippocampus ist ein Teil des Gehirns, der zentral an Lern- und Gedächtnisprozessen und damit an vielen höheren geistigen Leistungen beteiligt ist. „Unsere Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig körperliche Aktivität während der kindlichen Entwicklung ist“,erklärt Chaddock.

Bewegen Kinder sich regelmäßig, führt das zu längerfristigen Veränderungen in der Blutzufuhr des Hippocampus. Man spricht von Vaskularisierung: Die Blutgefäße werden nicht nur gestärkt, es wachsen auch neue hinzu. Dieser Effekt trifft auch auf andere Hirnbereiche zu. Die Neurowissenschaftlerin Dr. Manuela Macedonia von der Universität Linz erklärt: „Ein mit Sauerstoff gut versorgtes Gehirn bietet eine optimale Basis für ausgezeichnete kognitive Leistungen.“

Neue Blutgefäße bei Senioren: Man weiß heute, dass die Vaskularisierung nicht nur in der Kindheit zur Entstehung eines leistungsfähigen Gehirns beiträgt, sondern dass sich bei regelmäßiger körperlicher Bewegung auch im Gehirn von Erwachsenen vorhandene Blutgefäße verstärken und neue gebildet werden. Bewegen wir uns hingegen zu wenig, baut das Gehirn Gefäße ab.

Dass körperliche Aktivität zu Stärkung und Neubildung von Blutgefäßen führt, wurde erstmals 1990 in Versuchen mit Ratten nachgewiesen. Forscher der Universität von Illinois wollten wissen, ob sich neue Blutgefäße und auch neue Synapsen in den Gehirnen der Tiere bilden, wenn diese etwas Neues lernen. Eine Gruppe von Ratten erlernte akrobatische Übungen, wie das Balancieren auf einer dünnen Kette. Die zweite Gruppe absolvierte ein strammes Ausdauertraining im Laufrad, die dritte Gruppe durfte ihr Laufrad benutzen, wann sie wollte, und die vierte Gruppe verblieb in einem leeren Käfig.

Nach einem Monat hatten sich bei den Akrobaten und Ausdauerläufern neue Blutgefäße im Gehirn gebildet. Bei den Tieren, die nur Sport machten, wenn sie Lust dazu hatten, und bei den Käfighockern fanden die Forscher keine neuen Blutgefäße. Und nur bei den Akrobaten, die anspruchsvolle Bewegungsabläufe erlernen mussten, wurden neue Synapsen im Kleinhirn, das für die Motorik zuständig ist, entdeckt.

Bei körperlicher Trägheit bilden sich also keine neuen Blutgefäße. Ein wenig Bewegung bringt auch nichts. Nur regelmäßige, ausreichend intensive Aktivität lässt neue Blutgefäße sprießen. Die Studie zeigte zudem, dass Lernen auch neue Synapsen wachsen lässt.

Sport und Denksport: Heute weiß man, dass die Kombination von körperlicher Bewegung und anspruchsvoller geistiger Tätigkeit den größten Effekt hat. „Körperliche Bewegung lässt sogar neue Gehirnzellen wachsen. Denken erhält sie am Leben“, sagt der Hirnforscher Professor Dr. Gerd Kempermann vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Dresden. Dass sich im Gehirn eines Erwachsenen noch neue Zellen bilden können, hielten Wissenschaftler bis vor wenigen Jahren noch für unmöglich.

Eine unschlagbare Kombination: In Versuchen mit Mäusen konnte Kempermann zeigen, dass Gehirnzellen am meisten profitieren, wenn Bewegung und Lernen zusammenkommen. Mäuse, die sich viel bewegen, bilden viele neue Nervenzellen im Gehirn. Bei Mäusen, die neben der Bewegung auch noch Aufgaben lösen, bleiben diese Neuronen bis ins fortgeschrittene Alter bestehen.

Die Professorin Dr. Henriette van Praag von der Atlantic-Universität in Florida hatte in Experimenten mit Mäusen erstmals nachgewiesen, dass Laufen die Bildung neuer Neuronen anregt. Andere Wissenschaftler überprüften daraufhin in Versuchen mit Mäusen und Ratten, ob es neben körperlicher Aktivität weitere Wege gibt, die Bildung neuer Gehirnzellen anzuregen.

Einige Tiere wurden in ein Labyrinth gesetzt. Sie sollten den kürzesten Weg nach draußen finden, was ihnen schließlich auch gelang. Hierbei handelte es sich um Lernen. Andere Tiere wurden von kleinen in große Käfige umquartiert, sodass sie deutlich mehr Platz zum Bewegen hatten. Die dritte Gruppe von Nagern musste in einem Becken schwimmen. Und im vierten Experiment wurden die Käfige mit Laufrädern ausgestattet, die die Tiere immer dann benutzen konnten, wenn sie Lust darauf hatten.

Es stellte sich heraus, dass eine anregende, abwechslungsreiche Umgebung die Bildung neuer Neuronen generell fördert. Im Labyrinth, im großen Käfig und beim Schwimmen waren Effekte nachweisbar. Die freiwillige Bewegung im Laufrad jedoch regte die Neubildung von Neuronen, die sogenannte Neurogenese, am stärksten an.

Henriette van Praag konnte zeigen, dass sich beim freiwilligen Laufen die Anzahl der überlebenden neugeborenen Zellen verdoppelte. Weitere Studien belegten, dass Tiere, die in Familien und Gemeinschaften leben durften, eine deutlich stärkere Neurogenese hatten als Tiere, die isoliert und ohne Reize leben mussten.

Das Gehirn braucht Abwechselung: Mittlerweile weiß man, dass auch die Gehirne von Menschen von anregenden geistigen, sozialen, vor allem aber sportlichen Tätigkeiten profitieren. Laura Chaddock hat an der Universität von Illinois mithilfe der Magnetresonanztomografie die Gehirne von 21 sportlichen und 28 unsportlichen Kindern im Alter zwischen neun und zehn Jahren untersucht. Die sportlichen Kinder hatten einen größeren Hippocampus als die Kinder, die sich wenig bewegten, und waren geistig leistungsfähiger. Bei Gedächtnistests schnitten sie besser ab als die Kinder mit kleinerem Hippocampus.

„Diese Ergebnisse sind die ersten, die darauf hinweisen, dass körperliche Fitness durch Ausdauertraining bereits vor der Pubertät die Struktur und Funktion des menschlichen Gehirns beeinflusst“, sagt Chaddock.

Ein besseres Gedächtnis: Auch die Gehirne alter Menschen profitieren von regelmäßiger körperlicher Bewegung. „Neuere Erkenntnisse legen nahe, dass eine hohe Fitness durch Ausdauertraining bei älteren Erwachsenen mit einem höheren Hippocampus-Volumen und einer besseren Gedächtnisleistung einhergeht“, sagt Chaddock. Nachgewiesen hat das Professor Dr. Kirk Erickson von der Universität Pittsburgh, USA. In seiner Studie absolvieren 60 Teilnehmer im Durchschnittsalter von 68 Jahren sechs Monate lang ein Ausdauertraining. Weitere 60, etwa gleich alte Teilnehmer trainierten hingegen nicht.

Seit Langem ist bekannt, dass der Hippocampus im späten Erwachsenenalter schrumpft, was zu Gedächtnisstörungen führt und das Demenzrisiko erhöht. „Ein Ausdauertraining vergrößert den Hippocampus, was zu Verbesserungen des Gedächtnisses führt“, sagt Erickson. „Das Training während der Studie erhöhte das Hippocampus-Volumen um zwei Prozent, wodurch der altersbedingte Verlust an Volumen um ein bis zwei Jahre rückgängig gemacht wurde.“

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