Leitartikel Bei der Organspende scheut Spahn den großen Wurf

Noch bis vor wenigen Wochen konzentrierte sich die Debatte über den Rückgang der Organspendezahlen auf einen juristischen Aspekt. In Deutschland verhindere die Entscheidungslösung bessere Zahlen, hieß es.

Spahn legt Gesetz zu Organspende ohne Widerspruchslösung vor
Foto: SZ/Robby Lorenz

Hierzulande muss einer Organspende bekanntlich ausdrücklich zugestimmt werden, etwa durch ein Ja auf dem Organspende-Ausweis oder durch das Plazet der Angehörigen. In anderen europäischen Ländern mit weit besseren Statistiken werden Verstorbene hingegen automatisch zum Spender – es sei denn, sie hätten dem zu Lebzeiten  ausdrücklich widersprochen.

 Deshalb hat unter anderem auch die Bundesärztekammer zur Übernahme dieses Widerspruchsmodells gedrängt. Doch just dazu trifft der am Freitag vorgestellte Entwurf des Gesundheitsministers für ein neues Transplantationsgesetz keine Aussage. Eine Überraschung? – Kaum. Denn das ist taktisch klug. Ein cleverer Schachzug von Jens Spahn (CDU), gleich doppelt. Einmal nützt er der guten Sache, aber auch ihm selbst. Denn der Mann, der angeblich Ambitionen auf das Kanzleramt hat, muss und will „liefern“. Jetzt, im Kabinett: Taten und Erfolge. Deshalb wandelte sich Spahn vom Rebellen, der sich als forsch-streitbarer Gegenpol zur Kanzlerin profilierte, zum fleißigen „Kümmerer“, wie gestern eine große Sonntagszeitung analysierte.

Doch die Einführung der Widerspruchslösung hätte sich kaum als Image-fördernder  Sprint vollzogen, zu komplex ist schon die juristische Feinjustierung. Nein, der  grundlegende  Systemwandel dorthin setzt eine breite, langwierige  gesellschaftliche Auseinandersetzung voraus. Denn die „Zwangslösung“ hat sogar bereits Widerstand in den eigenen Unionsreihen ausgelöst. Mit Ethikfragen, das beweisen Themen  wie Abtreibung oder Sterbehilfe, gerät man auch innerfraktionell  in Konflikt-Mühlen. Sowas bremst Minister aus und schafft Gegner. Beides kann ein ehrgeiziger Mann wie Spahn gar nicht gebrauchen. Es muss alles schnell und glatt gehen. Deshalb mogelt  Spahn sich bei seinem Transplantationsgesetz an einem Kernproblem vorbei.

Und keiner merkt’s? Als Kritiker trat bisher nur der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach auf, alle anderen Verteidiger der Widerspruchslösung, sei es die Deutsche Stiftung Organspende oder die Bundesärztekammer, nahmen den Ball nicht auf. Auch sie aus taktischen Gründen. Niemand will das Gesetzesvorhaben gefährden. Denn das, was Spahn auf den Weg bringen will, es ist in weiten Teilen gut und richtig. Erst kürzlich hatte eine Studie Kieler Mediziner das gängige Meinungsbild revolutioniert, indem sie Erkennungs- und Meldedefizite in den Kliniken als Hauptursache zurückgehender Zahlen dokumentierte. Just an dieser Schraube dreht der Gesundheitsminister, und das ist sinnvoll.  Er steckt mehr Geld in den bisher nicht kostendeckenden Organentnahme-Prozess, stärkt die Position der Transplantationsbeauftragten, die in zu vielen Kliniken nur  „Nebenbei“-Beauftragte waren. Dafür hat Spahn bereits viel Lob bekommen: Der Spatz in der Hand ist in Sachen Organspende allen wichtiger als die Taube auf dem Dach. 

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