Sonnenblumenkerne in der Wüste pflanzen

St. Vith ist ein kleines Städtchen im dünn besiedelten Süden Ostbelgiens. Hier lebt, schreibt und publiziert Bruno Kartheuser gegen das "Randvergessen", sprich die marginale öffentliche Wahrnehmung seiner Region, an

St. Vith ist ein kleines Städtchen im dünn besiedelten Süden Ostbelgiens. Hier lebt, schreibt und publiziert Bruno Kartheuser gegen das "Randvergessen", sprich die marginale öffentliche Wahrnehmung seiner Region, an. Mit rund 75 000 Einwohnern bildet die im Osten der Wallonie ansässige Deutschsprachige Gemeinschaft (DG) zwar die kleinste der drei (Sprach-)Gemeinschaften Belgiens, doch ist sie mit weitreichenden legislativen und exekutiven Privilegien (Parlament, Minister und Ministerpräsident in Eupen) ausgestattet und verfügt über eine eigene Tages- und Wochenzeitung sowie einen deutschsprachigen Rundfunk- und TV-Sender. Nun könnte man meinen, dass es der "bestgeschützten Minderheit der Welt", wie sich der Ministerpräsident der DG Karl-Heinz Lambertz einst ausdrückte, an nichts mangelt. Dem ist mitnichten so, wenn man Kartheusers chronologische Bestandsaufnahme der ostbelgischen Kulturlandschaft folgt.Da ist im ersten Essay die Rede von einer kulturellen Wüste und "einem Niemandsland im deutschen Sprachraum", das in Ermangelung einer "richtigen" Stadt, keine zentrale Anlauf- und Austauschstelle für die ohnehin wenigen Kulturschaffenden aufzuweisen hat. Ein Defizit, dem der studierte Altphilologe Kartheuser mit der Gründung der Literaturzeitschrift "Krautgarten" Abhilfe leistete. Seit nunmehr fast 30 Jahren bietet der von ihm herausgegebene Krautgarten ein Forum für junge Literatur und hat sich als die größte Literaturzeitschrift der Großregion Saar-Lor-Lux etabliert. Nicht ohne Widerstände und Rückschläge. Denn die darin vertretene Literatur des freien Wortes, die sich auch in die Politik einmischt, sich auflehnt und leidenschaftlich für die Würde und Freiheit des Menschen kämpft, muss unweigerlich anecken. So führte Kartheusers Kritik am Kultursponsoring Ostbelgiens durch die deutsch-nationale Düsseldorfer Hermann-Niermann-Stiftung, zu (s)einer kostspieligen Verurteilung, die das ganze Projekt finanziell gefährdete. Leidenschaftliche Wortarbeit ist eben "Selbstausbeutung, vor allem in Ostbelgien", resümiert Kartheuser.

Dem Recht auf Unwissenheit hält er die schwierigere Möglichkeit entgegen, sich verdrängten, aber virulenten Gesellschaftsthemen anzunehmen. So plädiert Kartheuser für einen neuen, vom nationalen Joch befreiten Heimatbegriff, der das zugefügte Unrecht und die Erfahrung der zerstörten Heimat reflektiert. Die eloquent dargebrachten Essays und Dankesreden legen eine "pars pro toto"-Lesart nahe. Was die politischen und kulturellen Analysen der "Mini-Rand-Region" Ostbelgien zutage fördern, eröffnet neue Impulse, gerade auch für Einwohner der vermeintlichen Zentren, die zu Unrecht den Rand vergessen. lem

Bruno Kartheuser: Am Anfang war das Feuer. Essays. Edition Krautgarten. 184 Seiten, 23 €

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