So steht es in der Bibel

Saarbrücken. Schon in der Einführung enttäuscht der Comiczeichner Robert Crumb die naheliegenden Erwartungen von vielen Kennern seiner Arbeit. Er illustriere nur den wortgetreu und ungekürzt wiedergegebenen Originaltext - und wenn er interpretiere, dann im Sinne der Vorlage

Saarbrücken. Schon in der Einführung enttäuscht der Comiczeichner Robert Crumb die naheliegenden Erwartungen von vielen Kennern seiner Arbeit. Er illustriere nur den wortgetreu und ungekürzt wiedergegebenen Originaltext - und wenn er interpretiere, dann im Sinne der Vorlage. So wie es überrascht, dass sich da einer wie Crumb nicht willentlich und unnötig versündigt am Bestseller schlechthin, so wirkt es auf eine clevere Weise reif und angemessen. Er überlässt den Text einfach sich selbst und nimmt sich der mächtig-gewaltigen Bilder an, die er enthält. An ihrer präzisen Umsetzung tobt er sich aus, nicht an ihrer möglichen Ironisierung und Verballhornung.

Robert Crumb ist nicht bekannt als angepasster Zeichenonkel für die kleinen Lustigkeiten zwischendurch. Er gilt als Legende der amerikanischen Undergroundcomic-Szene, die sich in den 1960er Hippie-Jahren als Alternative zu professionellen Vertriebs- und Verlagstrukturen herausbildete. Bekannt machten ihn durchgeknallte Figuren wie Fritz the Cat und Mr. Natural, die er, nachdem sie zu erfolgreich wurden, verschwinden ließ: den einen in den Tod, den anderen in die Nervenklinik. Ohne die drastische Darstellung von Sex und Drogenexzessen kam Crumb, der auch Plattencover für Janis Joplin illustrierte, nie aus. Seine satirisch überhöhten Rüpeleien fanden zunehmend außerhalb der Comicszene Anerkennung und wurden in hochseriösen Kunsttempeln wie dem New Yorker Museum Of Modern Art ausgestellt.

Und jetzt seine großformatige Version der "Genesis", dem 1. Buch Mose. Zur Vorstellung seines Comics in Paris hat der katholisch erzogene, aber atheistische 66-Jährige betont, wie unbegreiflich es für ihn sei, dass Millionen Menschen diesen bizarren und schrägen Text so ernst nähmen. Diese Distanz zum Gegenstand seiner vierjährigen Arbeit schafft beste Voraussetzungen: Er ist weder spätberufener Missionar noch Moralist noch im Dienst irgendeiner Sekte. Crumb begreift die Bibel nicht als heiligen, sondern mythischen Großtext, den er mit adäquater Bildsprache nacherzählen will. So zeichnet er sich in seinem plastischen, detailreichen, oft als altmodisch beschriebenen Stil behutsam durch die zwei Schöpfungsgeschichten; er besucht Adam und Eva, Noah vor und nach der Sintflut, folgt Abraham und seinen Söhnen, macht einen Abstecher nach Sodom und Gomorrha, nimmt sich Zeit für Jakob und seine Söhne.

Die Schwarz-Weiß-Darstellungen - auf größere Einzelbilder wird weitgehend verzichtet - haben wenig Irritierendes, die Gewalt ist realistisch, der Sex jugendfrei abgebildet. Gott schaut als alter Mann mit sehr langen Haaren auf seine Geschöpfe herunter, wenn er zu ihnen spricht, dann ordnen sich die Haare kreisrund an - und Gott strahlt wie die Sonne. Die auftretenden Männer sind kernig, die Frauen üppig geraten. Mit dem Mittel der Schraffur erzeugt er Struktur und räumliche Tiefe, mit der Kreuzschraffur eindrucksvolle Hell-Dunkel-Effekte. Crumb macht die 50 Kapitel lang keinen Ärger, er setzt hingegen informative Fußnoten und stellt weiterführende Erläuterungen ans Ende des Buches.

Provokationen? Selten, siehe etwa in den Kapiteln Kapitel 29 und 30, wo der Leser "mit ein paar schlüpfrigen Anekdoten bei Laune" gehalten werden soll, wie Crumb schreibt. Für ihn muss es eine Freude sein, für die Ausschweifungen seiner Figuren einmal nicht verantwortlich zu sein: Es steht halt so in der Bibel. Warum soll folglich das biblische Personal bis zur Unkenntlichkeit überzeichnet werden? Der große Zeichner Robert Crumb hat alles richtig gemacht und sich für eine seine Verhältnisse geradezu artige, aber werknahe "Genesis"-Adaption entschieden.

Robert Crumb: Genesis. Carlsen Verlag, 228 Seiten, 29,90 Euro.

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