„Skrupel hatte ich nie“

Wolfgang Beltracchi war verantwortlich für den größten Kunstfälscher-Skandal der Nachkriegsgeschichte. Er malte Bilder, die aussahen, als stammten sie von Größen wie Max Ernst oder Heinrich Campendonk. Mit seiner Frau schleuste er sie in den Kunstmarkt ein, narrte Experten und verdiente Millionen. 2011 wurde Beltracchi zu einer Haftstrafe verurteilt, die er derzeit im offenen Vollzug absitzt. Am 21. Juni stellt er in Saarbrücken seine Autobiografie vor. In einer zweiteiligen Interview-Serie beleuchten wir das Phänomen Beltracchi. Heute spricht SZ-Redakteur Johannes Kloth mit dem Fälscher selbst, in Teil 2 kommt ein Kritiker zu Wort.

 Noch immer sind etliche Bilder Wolfgang Beltracchis (hier eine Szene aus dem Film „Die Kunst der Fälschung“) im Umlauf. Foto: Senator

Noch immer sind etliche Bilder Wolfgang Beltracchis (hier eine Szene aus dem Film „Die Kunst der Fälschung“) im Umlauf. Foto: Senator

Foto: Senator

Welche Überschrift würden Sie gerne über dem Interview lesen: Gespräch mit dem Fälscher..., Künstler..., Betrüger..., oder Verbrecher Wolfgang Beltracchi?

Beltracchi: (lacht) Also, Verbrecher sicher nicht. Graf Faber von Castell hat kürzlich gesagt: Beltracchi ist ein großer Maler, sicher kein Verbrecher. Das Wort Betrüger ist nicht von der Hand zu weisen, die falschen Signaturen unter den Bildern waren Betrug - aber eigentlich sehe ich mich als Künstler.

Faber von Castell ist kein Einzelfall, warum sympathisieren so viele Menschen mit Ihnen?

Beltracchi: Wir haben nie die "kleinen Leute" betrogen, meine Bilder haben nur ganz Reiche gekauft, oft nicht mal Millionäre, sondern Milliardäre. Außerdem sehen die meisten Leute das, was ich gemacht haben, offenbar nicht als Verbrechen oder kriminellen Akt an.

Aber das war es doch. Sie haben im Kunstmark einen Schaden von mehreren zehn Millionen Euro angerichtet. Sind sechs Jahre im offenen Vollzug da nicht eine sehr milde Strafe?

Beltracchi: Es gab im vergangenen Jahrhundert in Westeuropa keinen Gemäldefälscher, der mehr als drei Jahre Haft bekam. So gesehen wurde an mir eher ein Exempel statuiert.

Aufgeflogen sind Sie nach über 30 Jahren wegen einer Spur Titan-Weiß, die auf der Tube nicht gekennzeichnet war. Das Farbpigment, das zum Zeitpunkt der angeblichen Entstehung eines Gemäldes noch gar nicht hergestellt wurde, entlarvte das Bild als Fälschung. Haben Sie in Ihrer Zelle mal die Firma "Old Holland" verflucht?

Beltracchi: Ne, ich bin denen nicht böse, gerade habe ich wieder Ölfarben gekauft von "Old Holland", die sind echt gut.

Auf die Frage im einem TV-Beitrag, was Sie anders machen würden in einem zweiten Leben, sagen Sie: Kein Titan-Weiß mehr benutzen . . .

Beltracchi: (lacht) Genau.

Eine coole Pointe, heißt aber übersetzt: Ich bereue nichts.

Beltracchi: Nein, ich habe in dem Interview ja gesagt, dass ich es bereue. Aber Sie müssen sehen: Das war mein Beruf, wenn man etwas sein ganzes Leben macht, wird es zur Alltäglichkeit, auch wenn es kriminell ist. Es war ja ohnehin nur Zufall, dass meine Fälschungen aufgefallen sind, aber mit dem Wissen, das ich heute habe, könnte ich Bilder malen, die hundertprozentig niemand enttarnen könnte - auch kein Naturwissenschaftler.

Wirklich? Warum machen Sie dann nicht weiter?

Beltracchi: Nein, nein! Das war mein Beruf, es hat mir Spaß gemacht, es war spannend, aber jetzt ist der Witz weg.

Wo lag denn, abgesehen vom Geld, überhaupt der Reiz? Sie konnten den Stolz auf ihre Kunst ja mit niemandem teilen.

Beltracchi: Doch, mit meiner Frau. Das war sehr schön, wir hatten viel Spaß gemeinsam. Wir haben ein sehr ruhiges, zurückgezogenes Leben gelebt. Ich glaube, ein Leben, wie es sich viele wünschen. Diese Öffentlichkeit jetzt, das wollten wir eigentlich nie. Jetzt müssen wir halt damit leben und das Beste daraus machen.

Hätten Sie die Fälschungen auch gemalt, wenn Sie für ein Bild vielleicht 1000 Euro statt eine Million bekommen hätten?

Beltracchi: Um Geld ging es erstmal gar nicht, ich habe ja auch sehr preiswerte Bilder gemalt. Viele Künstler waren, als ich die Bilder malte, noch nicht teuer. Sie wurden es erst mit der Zeit. Ich habe mir immer überlegt: Will ich diesen Maler malen? Interessiert er mich? Ist es eine Herausforderung? Wenn ja, habe ich es gemacht.

Sie können alles malen?

Beltracchi: Ja.

Sind Sie ein Genie?

Beltracchi: Naja, ich kann das eben. Ich habe diese Begabung.

Hatten Sie nie Skrupel?

Beltracchi: Nein, nie. Ich habe meine Bilder geliebt. Immer, wenn eines fertig war, habe ich gesagt: Das ist das beste. Viele meiner Bilder haben ja Preise erzielt am Markt, die den Maler erst hochgebracht haben. Zum Beispiel Campendonk. Mein "Rotes Bild mit Pferden" war der teuerste Campendonk, der je verkauft wurde. Der hat den Maßstab gesetzt für Campendonk-Werke. Daran können Sie sehen, wie hoch die Bewertung meiner Bilder am Markt war. Vor ein paar Tagen haben sie in der Villa Grisebach versucht, für einen Campendonk zwei bis drei Millionen zu kriegen . . .

. . . das Bild ging nicht weg.

Beltracchi: Natürlich nicht, es war nicht gut genug. Bevor ich mit Campendonk anfing, kostete eines seiner Bilder 50 000 D-Mark oder weniger. Bei Max Ernst und anderen ist es übrigens ähnlich.

Aber die hohen Summen wurden für die Unterschrift bezahlt, nicht für die Ästhetik der Bilder.

Beltracchi: Nicht nur! Es waren Bilder von herausragender Qualität. Der Campendonk, so hieß es, sei ein "Schlüsselwerk der klassischen Moderne".

Viele Ihrer Fälschungen entstammen der von Ihnen erfundenen "Sammlung Jägers" aus den 30er Jahren. Um die Provenienz der Bilder zu stützen, haben Sie irgendwann sogar begonnen, Familienfotos aus dieser Zeit zu fälschen. Darauf sieht man Ihre Frau, verkleidet als Großmutter Jägers, im Hintergrund die Bilder. War das alles auch immer ein bisschen Happening für Sie?

Beltracchi: (lacht) Ja, klar. Bei den Fotos hatten wir extremen Spaß. Es hat Tage gedauert, bis die fertig waren. Selbst Experten haben ja gesagt, es seien Originale aus den 1930ern.

Hatten Sie nie Angst, aufzufliegen?

Beltracchi: Erst im letzten halben Jahr, da deutete es sich an.

Und die Jahre davor, nie unruhig geschlafen?

Beltracchi: Nö. Meine Frau war schon mal hin und wieder so ein bisschen aufgeregt, aber Angst? Nein.

Was ist eigentlich aus Ihrer Villa in Freiburg und der Domäne in Südfrankreich geworden?

Beltracchi: Verkauft. Überhaupt ist alles weg. Insgesamt haben wir bisher so sieben Millionen Euro Rückzahlungsforderungen beglichen.

Vermissen Sie die Häuser und das damit verbundene Leben?

Beltracchi: Das Leben ja, die Häuser nicht. Wir hatten eh vor, die Domäne zu verkaufen, weil uns das alles zu groß wurde. Man braucht das alles nicht. Für viele Leute wäre es vermutlich schlimm, wenn man ihnen Haus und Geld wegnimmt. Für uns ist das nicht so, wir haben uns, unsere Liebe, die hat sich nicht verändert, im Gegenteil.

Sie haben ungefähr 300 Bilder gefälscht, die meisten davon sind noch auf dem Markt. Sie sagen, Sie haben jedes Bild genau im Kopf. Können wir mit spektakulären Enthüllungen in den kommenden Jahren rechnen?

Beltracchi: Nö, ich sag nichts. Das sehe ich gar nicht ein, warum sollte ich? Wenn sich jemand bei uns meldet und fragt, ob sein Bild von mir gemalt wurde, gebe ich eine ehrliche Antwort.

Aber es meldet sich ja keiner . . .

Beltracchi: Naja, ein paar Anfragen kamen schon. Ich finde, man muss es den Besitzern selber überlassen, ob sie wollen, dass ihre Bilder geoutet werden. Bei uns waren übrigens auch Leute, die selbst nach dem Outing die Bilder behalten wollen, weil sie sagten: Warum sollte ich das von meiner Wand abhängen, ich finde es toll.

Am 21. Juni, 18 Uhr, lesen Wolfgang Beltracchi und seine Frau Helene in der Saarbrücker Alten Feuerwache aus der Autobiografie "Selbstportrait" und unter dem Titel "Einschluss mit Engeln" erschienenen Gefängnisbriefen. Karten unter Tel. (06 81) 3 09 24 86.

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