Silberstreif am Konjunkturhimmel

Berlin. Die Bundesregierung rechnet für dieses Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent. Ihre Prognose, die gestern mit dem Jahreswirtschaftsbericht veröffentlicht wurde, liegt damit am unteren Rand der Erwartungen vieler Konjunkturforscher

Berlin. Die Bundesregierung rechnet für dieses Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent. Ihre Prognose, die gestern mit dem Jahreswirtschaftsbericht veröffentlicht wurde, liegt damit am unteren Rand der Erwartungen vieler Konjunkturforscher. "Die Talsohle ist überwunden, aber der Aufstieg wird langsam und beschwerlich", meinte Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP). Nach der Prognose seines Hauses werden noch etwa drei Jahre vergehen, bis die deutsche Wirtschaft wieder so fit ist wie vor der Finanzkrise. 2009 war das Bruttosozialprodukt um fünf Prozent gesunken. Ein beispielloser Einbruch in der Geschichte der Bundesrepublik. Ein Anstieg von 1,4 Prozent würde bedeuten, dass die Wirtschaft zum Jahresende immer noch um 3,6 Prozent unter dem konjunkturellen Niveau von 2008 läge. Zu den Lichtblicken zählt laut Brüderle in erster Linie der Export. Bremsend wirkten jedoch der erwartete Anstieg der Ölpreise und der Rückgang des privaten Konsums. Zwar ist die Arbeitslosigkeit entgegen allen Befürchtungen von der Fünf-Millionen-Marke weit entfernt. Nachdem die Arbeitszeitkonten in den Betrieben weitgehend ausgeschöpft sind und auch die Kurzarbeit kein Allheilmittel mehr ist, rechnet die Regierung aber mit einem jahresdurchschnittlichen Anstieg der Erwerbslosenzahl um etwa 320 000 auf 3,77 Millionen. "Mit etwas Glück bleibt die Arbeitslosenzahl im nächsten Winter unterhalb der Vier-Millionen-Grenze", sagte Brüderle. Dies "würde weiteren Auftrieb geben".Steuersenkung und SparkursUm dem auf die Sprünge zu helfen, rief der Minister auch noch einmal die ehrgeizigen Steuersenkungsvorhaben seiner Partei in Erinnerung. Die angestrebten Entlastungen liegen bei knapp 20 Milliarden Euro im Jahr. Die Koalitionspartner CDU und CSU sind an dieser Stelle deutlich vorsichtiger, zumal sich die Regierung auch zur Einhaltung der Schuldenbremse verpflichtet hat. Brüderle räumte ein, dass der radikale Abbau der Neuverschuldung bei gleichzeitigen Steuersenkungen ab 2011 nur in einer Kombination aus Sparmaßnahmen und höherem Wachstum zu stemmen ist. Namhafte Wirtschaftsforschungsinstitute wie das RWI in Essen und das IWH in Halle hatten den Anstieg des Bruttosozialprodukts zwischen 1,6 und 1,9 Prozent beziffert. Das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in Düsseldorf rechnet sogar mit einem Plus von zwei Prozent. Nach Angaben seines Konjunkturexperten Peter Hohlfeld erklären sich die deutlichen Abweichungen zur Regierungsprognose mit den unterschiedlichen Erwartungen bei der Auslandsnachfrage. "Bei den Schätzungen zum Rückgang des privaten Verbrauchs und den Zuwächsen bei den Ausrüstungsinvestitionen stimmen unsere Zahlen mit denen der Regierung fast nahtlos überein", sagte Hohlfeld. Aber während in Brüderles Rechnung der Export nur um 5,1 Prozent anziehe, gewichte das IMK die Nachfrage in Asien deutlich höher. "Deshalb rechnen wir hier mit einem Plus von über acht Prozent." Meinung

Zwischen Hoffen und Bangen

Von SZ-RedakteurVolker Meyer zu Tittingdorf Die Bundesregierung hält sich erfreulich zurück, sie rechnet nicht vorschnell die Zukunft schön und damit die Steuereinnahmen hoch. Zu schwach ist immer noch der Aufwärtstrend, obwohl sich die Wirtschaft angesichts der schärfsten Rezession seit Jahrzehnten überraschend rasch gefangen hat. Viele Unwägbarkeiten dämpfen die Hoffnung auf einen robusten Aufschwung: die labilen Finanzmärkte, eine drohende Kreditklemme, die wankenden Staatshaushalte von Ländern wie Griechenland und Spanien sowie die Furcht vor einer platzenden Immobilienblase in China. Es kann natürlich auch alles viel besser laufen. Wenn die Konjunkturlokomotiven Indien und China auf Hochtouren laufen und dann der deutsche Export brummt, werden die Kurzarbeiter wieder Vollzeit zu tun haben, was die Konsumlaune heben dürfte. Darauf kann man aber nur hoffen, der Staat darf damit nicht rechnen.

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