Sieg im Werben um Schlingmann

Saarbrücken. Für diesen Absprung galt nicht das Maß der sprichwörtlichen letzten Meter. Das Nein der Saarbrücker Theaterchefin zu einem Wechsel nach Bonn erfolgte vielmehr auf dem letzten Zentimeter: am Dienstagabend nach 18 Uhr

Saarbrücken. Für diesen Absprung galt nicht das Maß der sprichwörtlichen letzten Meter. Das Nein der Saarbrücker Theaterchefin zu einem Wechsel nach Bonn erfolgte vielmehr auf dem letzten Zentimeter: am Dienstagabend nach 18 Uhr. Als die Erfolgs-Pressemitteilung in Bonn schon geschrieben war, der Kulturdezernent Martin Schumacher nachmittags bei den Fraktionen ein letztes Mal im Sinne Dagmar Schlingmanns nachverhandelt hatte. Aber, so sagt es die Saarbrücker Intendantin jetzt: Die mit Schumacher gemeinsam entwickelten Ideen zur Neupositionierung des Bonner Hauses seien unter den Sparvorgaben dann doch nicht zu machen gewesen. Also: Rückzug. Von "Ratlosigkeit" spricht man inoffiziell in Bonn, öffentlich lobt man die "hervorragende Kandidatin". Aber Internet-Portale diskutierten gestern den "Paukenschlag" und die "Schlappe" für Bonn. Wer sie der Stadt zugefügt hat, lässt sich sagen: Saar-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Nachdem bereits Kulturminister Stephan Toscani (CDU) mit Schlingmann in Kontakt stand, die ihn frühzeitig über den Abwerbungs-Vorstoß unterrichtet hatte, schaltete sich Kramp-Karrenbauer am Freitag telefonisch ein, schaufelte sich, trotz politischer Turbulenzen, am Montag einen Termin frei für ein Treffen in der Staatskanzlei. "Das hat mich beeindruckt", sagt Schlingmann. Sie lässt keinen Zweifel daran, dass dieses zwar späte, aber wohl auch menschliche Auf-Sie-Zugehen den Ausschlag gab, umzusteuern: "Ich bin am Wochenende schwankend geworden." Die Ursache: plötzliche, unzählige Wertschätzungs-Bekundungen, ausgelöst durch die SZ-Berichterstattung. Auch die Saarbrücker Oberbürgermeisterin Charlotte Britz (SPD) soll zum Hörer gegriffen haben."Mir wurde durch die vielen Gespräche klar, welch einen hohen Stellenwert das Theater hier besitzt", sagt Schlingmann. Letzteres hat die Landesregierung ihr auch durch eine Bestandssicherungs-Zusage für das Theater bewiesen (siehe Infokasten). Schlingmann: "Ich habe das Versprechen bekommen, dass es keine Sparwelle geben wird. Selbst dann nicht, wenn sich die Lage der Kommunen, die das SST mitfinanzieren, verschlechtern sollte."

Ein Sprung nach vorn ist dies alles, für Schlingmann selbst wie für das SST. Doch den Verdacht, sie habe eben darum gepokert und womöglich Doppelverhandlungen geführt, weist Schlingmann von sich. "Bonn hat mich wahnsinnig gereizt. Aber langfristig lagen dann doch Einsparungen von 3,5 Millionen Euro auf dem Tisch. Dadurch war der Karrieresprung nicht mehr groß genug. Vielleicht hat Bonn mit den Zusagen auch ein wenig zu lange gezögert", meint sie. Zudem sei sie schon 2006/2007 beim SST mit der Hypothek angetreten, Spar-Pläne umsetzen zu müssen: "Das wollte ich mir nicht noch einmal antun. Ich möchte mich bundesweit nicht als Sparkommissarin profilieren."

Fast wären diese Erkenntnisse zu spät gekommen. Im Prinzip waren sie aber gereift. Schlingmann brauchte am Dienstagabend nur mehr zwei Minuten Bedenkzeit, nachdem das letzte Bonner Angebot rein kam. Mittlerweile hat sie den Schalter schon wieder umgelegt, krempelt die Ärmel hoch für das SST, das in der nächsten Saison durch eine Talsohle muss: von April 2013 an wird das Große Haus wegen der Sanierung der Bühnentechnik monatelang geschlossen (die SZ berichtete). "Ich freue mich, dass ich jetzt wieder alle Energien frei habe".

Meinung

Freut Euch!

Von SZ-RedakteurinCathrin Elss-Seringhaus

Spitzenkräfte hält man nicht nur mit Geld, sondern mit Wertschätzung. Dass man alle Parteien, vor allem aber die Landesregierung, an diese Banalität erinnern muss, ist ein weiteres Indiz für die Desolatheit hiesiger Kulturpolitik. Stellen wir uns das Szenario lieber gar nicht erst vor, hätte eine Chefin auf dem Absprung das SST durch die Umbauphase führen müssen. Doch wochenlang erkannte niemand den Ernst der Lage. Auch die Regierungs-Chefin reagierte viel zu spät, dann traf sie allerdings den richtigen Ton. Der allein brachte nicht den Sieg, Schlingmann wurde aus den Verhandlungen raus gekauft. Zu teuer? Nein. Zum einen hat sie sich nach holpernden Anfängen bewährt, hat nach einer unüblich langen, zuletzt festgefahrenen Intendanz Überraschungen, Straßenstaub und Freiheiten ins SST gebracht. Nicht alle Mitarbeiter jubeln darüber. Doch die Finanz-Zusagen sind auch unabhängig von Schlingmann realistisch und zwingend, will man das SST auf dem jetzigen Niveau halten. Zudem kommt die Planungs-Sicherheit gerade noch rechtzeitig vor einer Regierungs-Umbildung, zunächst mal Instabilitäten bringt. Kritische Zeiten verlangen nach erfahrenen Leuten und ungeteilter Führungs-Stärke. Deshalb ist diese Lösung zur Zeit die beste. Freut Euch - so steht es auf einem Werbeplakat des Staatstheaters.

Auf einen Blick

Die Zusagen lauten nach SZ-Recherchen: Struktursicherung bis zu Schlingmanns Vertragsende 2016: Erhalt aller Spielstätten und Sparten. Verlängerung des Haustarifvertrages über 2014 hinaus (kein Personalabbau), Aufstockung der halben Leitungs-Stelle der Sparte 4 auf eine ganze Stelle, Gehaltserhöhung für Schlingmann, ein (kleines) zusätzliches "freies" Budget (für Zusatzkräfte, Gastverpflichtungen). Es wird an Schlingmanns Vertrag gekoppelt. Zugleich steht fest, dass es keine eigenständige Sparte Ballett geben wird, wie von Marguerite Donlon gewünscht. ce

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