„Shakespeare ist viel gewalttätiger“

Bei den Golden Globes am Wochenende erhielt „12 years a slave“ die Haupt-Trophäe. Morgen startet das Sklavendrama bei uns in den Kinos. Im Gespräch mit SZ-Mitarbeiter André Wesche erläutert Regisseur Steve McQueen, warum das Thema Sklaverei immer noch so viele Amerikaner bewegt.

 Michael Fassbender, Lupita Nyong'o und Chiwetel Ejiofor (v.l.). Die Aufarbeitung der Sklaverei, sagt Regisseur McQueen, habe in den USA nicht einmal angefangen. Foto: Duhamel/Tobis

Michael Fassbender, Lupita Nyong'o und Chiwetel Ejiofor (v.l.). Die Aufarbeitung der Sklaverei, sagt Regisseur McQueen, habe in den USA nicht einmal angefangen. Foto: Duhamel/Tobis

Foto: Duhamel/Tobis

Wie kamen Sie auf das Thema Sklaverei in den USA?

McQueen: Aus meiner Sicht gab es keinen Film, der das Thema adäquat aufgearbeitet hat. Ich hatte erst einen groben Drehbuch-Entwurf über einen Afroamerikaner, der als freier Mann lebt und dann in den Süden als Sklave verschleppt wird. Aber ich kam nicht voran, bis ich auf Solomon Northups Buch "12 years a slave" stieß, das genau die Geschichte erzählte, die ich im Kopf hatte.

Warum blieb Northups Buch fast 150 Jahre unentdeckt?

McQueen: Kurz nach "12 years a slave" kam "Onkel Toms Hütte" heraus, der zum wichtigsten Roman dieser Ära wurde. Trotzdem ist es mir einfach ein Rätsel, dass Northups Buch solange nur in Akademikerkreisen bekannt war.

Ihr Film zeigt die Brutalität der Sklaverei sehr deutlich . . .

McQueen: Wenn man sich dazu entschieden hat, einen Film über Sklaverei zu drehen, gehört es dazu, dass man genau zeigt, was dort vor 150 Jahren passiert ist. Dabei geht es nicht nur um die körperliche Brutalität, sondern auch um die mentale Gewalt. Ich bin auch nicht der Meinung, dass man als Zuschauer diese schmerzhaften Szenen nicht aushalten kann. Da sind manche Werke Shakespeares sehr viel gewalttätiger, aber dort akzeptieren wir das als Teil des Dramas.

Die Gewaltszenen stehen in einem extremen Kontrast zur Schönheit der Umgebung.

McQueen: Der amerikanische Süden ist eine wunderschöne Landschaft. Ich habe mich bewusst dagegen entschieden, die Gewaltszenen in einem düsteren Licht zu zeigen, weil man das im wirklichen Leben ja auch nicht beeinflussen kann. Wir wollen immer unsere Moral über die Bilder stülpen, um solche Szenen besser aushalten zu können. Aber so ist die Welt nicht. Die Perversion besteht ja oft gerade darin, dass an den schönsten Orten die schrecklichsten Dinge geschehen.

Der Film wurde in den USA sehr positiv aufgenommen. Haben Sie mehr Kontroverse erwartet?

McQueen: Es ist natürlich schön, so ein positives Feedback auf einen Film zu bekommen, in den man so viel Arbeit gesteckt hat. Das kann ich aus vollem Herzen annehmen. Und wir haben durchaus auch kontroverse Reaktionen ausgelöst. Überrascht hat mich allerdings der kommerzielle Erfolg. Dass der Film nicht nur in den Arthouse-Kinos, sondern auch in den Multiplexen gut läuft - damit hätte ich nicht gerechnet.

Vermag Ihr Film eine neue Diskussion über dieses Kapitel der Geschichte anzustoßen?

McQueen: Die Diskussion über die Sklaverei als Teil der amerikanischen Geschichte wird nun öffentlich geführt. Aber ob sie zu einer neuen gesellschaftlichen Sicht führt, kann man noch nicht abschätzen.

Worin liegt für Sie die Aktualität des Themas? Wäre es aktuell nicht sinnvoller, etwa einen Film darüber zu drehen, dass fast ein Drittel der afroamerikanischen Jugend im Gefängnis ist?

McQueen: Manchmal ist es wichtiger, die Wurzel der Dinge zu zeigen, die in der Vergangenheit liegen. Wenn wir über Kriminalität, die Situation afroamerikanischer Jugendlicher oder allein erziehende Mütter nachdenken, dann verweist ein Film wie "12 years a slave" auf die Wurzel dieser Übel. Die Geschichte spielt 1853, aber es gibt eine direkte Linie zu Problemen der Gegenwart. Hoffentlich führt die historische Debatte zu einer anderen Sicht auf aktuelle Probleme. Die Aufarbeitung der Sklaverei hat nach 150 Jahren in den USA nicht einmal angefangen.

Läuft im Camera Zwo (Sb). Kritik morgen im treff.region.

Zum Thema:

Auf einen BlickSieben weitere Filme starten morgen: Das Drama "A touch of sin" von Jia Zhang Ke zeigt das Filmhaus, ebenso wie den Animationsfilm "Crulic - Weg ins Jenseits" von Anca Damian. Die Doku "Das radikal Böse" von Stefan Ruzowitzky ist ebenfalls im Filmhaus zu sehen. In der Camera Zwo läuft das Roadmovie "Nebraska" von Alexander Payne an. Mit "The wolf of Wall Street" von Martin Scorsese startet eine Satire mit Leonardo DiCaprio. Außerdem laufen die Komödie "Nicht mein Tag" von Peter Thorwarth sowie der Kinderfilm "Fünf Freunde 3" von Mike Marzug. red

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