„Selbstverwirklichung ist das Ideal der Vollidioten“

Saarbrücken · Der Aktionist und Kunstvermittler Bazon Brock zählt zu den zentralen Akteuren des deutschen Kunstgeschehens. An der Hochschule der Bildenden Künste Saar erläuterte er Studenten seine Philosophie.

Orgasmus war gestern, heute hetzt die Menschheit dem nächsten Augiasmus nach. Das behauptet zumindest Bazon Brock, Vertreter der Fluxus-Aktionskunst. Dem nächsten was? "Die höchste Anstrengung wird als Lustquelle empfunden, als Augiasmus", sagt Brock, der den Neologismus um 1970 prägte. Demnach läuft der Jogger, bis es wehtut, arbeitet sich der Workaholic ins Burn-out, schafft der Künstler Werke ohne Rücksicht auf Ergebnisse. "Fluxus ist Joggen für Künstler", erklärt Brock, "die ausgeschütteten Körperopiate sind Belohnung für extreme körperliche Belastung". Die Studenten, vor denen Brock am Freitag spricht, folgen seinem Workshop in der Hochschule der bildenden Künste Saar (HBK) gebannt. Der Aktionist genießt es, zu provozieren.

Der Höhepunkt der Fluxus-Aktionskunst war zwischen 1958 und 1963. Fluxus-Aktionen sollen mit akustischen und visuellen Installationen aufrütteln. Schon als junger Mann übte sich Brock in "investigativer Selbstausstellung", wie er es nennt. Etwa mit der Aktion "Sich den Bürgern von Zeit zu Zeit im Zustand der Nacktheit zeigen, Ravenna 1973". Es geht darum, sich selbst zum Gegenstand von Urteilen zu machen, die man sonst nur über andere fällt. Oder die Aktion "Einübung ins Hundeleben". Sie zeigt Brock gegen ein Schild gelümmelt mit der Aufschrift "Ich muss draußen bleiben". Im Gegensatz zum Happening beziehen Fluxus-Künstler das Publikum nicht mit ein. Brock macht in der HBK wiederholt eine Ausnahme: Er baut den Hund einer Studentin in seinen Vortrag ein. "Du bist ein Meister", attestiert er ihm. An diesem Freitag hat es der Hund nach drinnen geschafft. Ein Fluxus-Hundeleben als Ziel für Künstler?

Brock stellt den Künstler vor seinem Publikum jedenfalls in eine lange Tradition der Erkenntnisstiftung. Artefakt-Herstellung und Handwerkstätigkeit seien Quellen der Erkenntnis, der Ausdruck aber verändere den ursprünglichen Gedanken: "Es gibt keine Identität zwischen Gedanken und Verstehen, das Darstellen schafft den Gedanken neu." Daher sollte der Künstler mit dem Scheitern seines Projektes rechnen, um sich besser auf ein nicht geplantes Ergebnis einlassen zu können. Dies sei der große "Flux", das Fließen des Schaffens und Seins. Die Studentin Christina Sinarius sah den ersten Workshoptag bereits als großen Gewinn, bei dem sie neue, auch themenfremde, Denkanstöße erhalten hat. "Ich hatte bestimmte Begriffe für mich schon gedeutet, es war aber sehr spannend meine Auffassungen an seinen zu reiben", sagt die 26-Jährige. Für den HBK-Lehrbeauftragten Lukas Baden fallen die Vorträge von Brock in den Bereich der Lebenskunst: "Es geht darum, das eigene Verständnis zu hinterfragen und die Dinge zu restituieren."

Der Kunsttheoretiker Brock beschäftigte sich auch mit der Rezeption von Kunst: In der Schrift "Selbstverwirklichung ist das Ideal der Vollidioten" hielt er fest, dass auch Rezeption produktiv ist. Ein "professionelles Publikum" nimmt sich nach Brock also selbst ernst und lässt sich nicht passiv verwöhnen. Wer das testen möchte, kann die Ausstellung "Bazon Brock. Der Philosoph als Aktionist" noch Mittwoch bis Freitag (17 - 20 Uhr) und am Samstag (12 - 18 Uhr) in der Galerie der HBK besuchen.

Einen anschaulichen Einblick in das lebensphilosophische Denken von Bazon Brock geben auch Kurzvideos auf der Webseite fragen-zur-kunst.de. Die Seite wurde anlässlich der documenta 12 an der Kunsthochschule Kassel entwickelt. In 15 unterhaltsamen Denkanstößen erfährt man, warum ein Nichtkönner kein Verlierer ist oder warum Künstler besser mit gesellschaftlichen Problemen umgehen.

fragen-zur-kunst.de/#p17

Zum Thema:

Auf einen BlickBazon Brock wurde 1935 als Jürgen Johannes Hermann Brock in Stolp/Pommern geboren. Der emeritierte Professor für Ästhetik und Kulturvermittlung der Uni Wuppertal arbeitet als Kunsttheoretiker und Künstler. Er realisierte Fluxus-Aktionen mit Joseph Beuys, Friedensreich Hundertwasser und setzte Theaterprojekte um. sopbazonbrock.de

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