Selbstmorde als Lebensthema: David Vann über das Scheitern einer Ehe

Die wahren Tragödien spielen sich in Familien ab. Wer über David Vann spricht, kommt nicht umhin, von ihnen zu erzählen. Sein Vater war Zahnarzt auf der Militärbasis Adak Island in Alaska und nahm sich auf dramatische Weise das Leben. Während er mit seiner zweiten Ehefrau telefonierte, schoss er sich eine Kugel in den Kopf, nachdem er sie, wie schon die erste Frau, betrogen hatte

 Autor Vann. Foto: Diana Matar

Autor Vann. Foto: Diana Matar

Die wahren Tragödien spielen sich in Familien ab. Wer über David Vann spricht, kommt nicht umhin, von ihnen zu erzählen. Sein Vater war Zahnarzt auf der Militärbasis Adak Island in Alaska und nahm sich auf dramatische Weise das Leben. Während er mit seiner zweiten Ehefrau telefonierte, schoss er sich eine Kugel in den Kopf, nachdem er sie, wie schon die erste Frau, betrogen hatte. Bis heute könne seine Stiefmutter mit dem Ohr nicht mehr telefonieren, berichtete David Vann einmal, der damals 13 war.Im Roman "Im Schatten des Vaters" (2011) hat Vann diesen Tod verarbeitet. Auch sein aktueller, "Die Unermesslichkeit", geht auf einen Selbstmord in seiner Familie zurück. Erzählt wird die Geschichte von Gary und Irene. Beide sind Mitte 50 und haben sich auseinandergelebt, seit die Kinder aus dem Haus sind. Als junges Paar kamen sie nach Alaska, um ein einfaches Leben zu führen. Vom Idealismus ist nichts geblieben. Noch einmal wollen sie es gemeinsam versuchen - auf Caribou Island eine Blockhütte bauen, alleine in der Natur vom Nötigsten leben. Ist es dafür nicht zu spät?

Bereits als sie mit dem Boot das Baumaterial auf die Insel bringen, regnet es ohne Ende. Es wird früher Winter als erwartet. Der unduldsame Gary aber will vollenden, was er sich in den Kopf gesetzt hat. Dann wird Irene krank. Und alles geht schief. Jeder krumm geschlagene Nagel wird für Gary zu einem persönlichen Misserfolg. Das Bauen wird zu einem Horrortrip, der für beide tödlich endet. Ein Mord und ein Selbstmord stehen am Ende.

In einer kühlen Sprache schildert Vann, wie die beiden sich subversiv bekämpfen. Keiner will sich die Blöße geben, die Beziehung beendet zu haben. Der Roman reicht nicht an den Vorgänger heran. Die Dialoge wirken mitunter trivial, haben nichts von der existentiellen Wucht, mit der der 1966 auf Adak Island geborene Vann in "Im Schatten des Vaters" das kalte Leben in der Isolation beschrieb. Aus diversen Perspektiven erzählt der Roman vom Scheitern - Garys und Irenes Kinder inbegriffen. Er spielt durch, wie Familiengeschichte sich wiederholt. Wird die nächste Generation es schaffen, der elterlichen Prägung zu entfliehen? Stoff für einen weiteren Roman. Es habe in seiner erweiterten Familie, wie David Vann einmal sagte, fünf Selbstmorde gegeben. Bleiben noch genügend übrig für weitere Bücher. grom

 Autor Vann. Foto: Diana Matar

Autor Vann. Foto: Diana Matar

David Vann: Die Unermesslichkeit. Suhrkamp, 352 S., 22,95 €

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