„Schuld bleibt immer, so oder so“

Der Roman „Zwischenspiel“ zeigt seine Autorin Monika Maron auf dem Gipfel ihrer erzählerischen Kunst. Raffiniert und doppelbödig erzählt sie einen schicksalhaften Tag aus dem Leben einer Frau.

"Natürlich kann ich nicht sagen, mein Leben fängt erst 1990 an, aber es ordnet sich um einen anderen Mittelpunkt, und die Fragen stellen sich anders", bekannte Monika Maron, die in der DDR aufgewachsene Stieftochter eines einflussreichen DDR-Politikers, die vor dem Mauerfall in den Westen übergesiedelt war. Ihre besten Werke gelangen Maron, die zuletzt mit dem Deutschen Nationalpreis (2009) und dem Lessing-Preis (2011) ausgezeichnet worden ist, wenn sie sich der Fesseln der eigenen Vita und der deutsch-deutschen Politik entledigte und tief ins Innere ihrer Figuren blickte. So wie in ihrem neuen Roman "Zwischenspiel", der uns die 72-jährige Autorin auf der Höhe ihrer Erzählkunst präsentiert: raffiniert und äußerst kunstvoll inszeniert, anspielungsreich und doppelbödig, mit philosophischen Sentenzen versehen und dennoch mit großem Elan erzählt.

Im Mittelpunkt steht die 60-jährige Museumsangestellte Ruth. Genauer gesagt, es dreht sich alles um einen einzigen Tag in ihrem Leben. Sie will zur Beerdigung ihrer Ex-Schwiegermutter Olga, doch am Morgen gerät die Welt aus den Fugen. Sie hat vor den Augen nur noch "flimmernde Punkte". Sie erlebt durch die plötzlichen Wahrnehmungsstörungen "die Verwandlung des Alltäglichen in seine impressionistische Variante".

Ruth war einst mit Olgas Sohn Bernhard verheiratet, hatte sich getrennt, nachdem dieser sein behindertes Kind aus erster Ehe dauerhaft zu sich geholt hatte. Mit Olgas Tod werden schmerzliche Erinnerungen wach. Ruth will zur Beerdigung fahren, ist mit dem Auto unterwegs, kommt vom Weg ab, scheint aus dem Autoradio Olgas Stimme zu hören ("jetzt kommst du zu spät zu meiner Beerdigung") und landet in einem seltsam anmutenden Park. Lebende und Tote bevölkern das parkähnliche Zwischenreich, substanzielle, hochpolitische und marginale Gedanken vermischen sich zu einem surrealistischen Nebel.

Ruth war einst (wie Monika Maron selbst) mit ihrem Ehemann Hendrik, einem in der DDR unterdrückten Schriftsteller, nach West-Berlin übergesiedelt, wo er respektable Erfolge feierte. In der Hendrik-Figur lässt Monika Maron ihre eigenen Probleme mit der Staatszensur nach Fertigstellung ihres Romans "Flugasche" Revue passieren. Ruths erster Mann Bernhard hat das Paar in West-Berlin bei Besuchen der gemeinsamen Tochter Fanny ausspioniert und viele Jahre als "IM Modigliani" für den Staatssicherheitsdienst gearbeitet.

Monika Marons Roman ist eine schmerzliche Selbstbefragung der Protagonistin auf sich abwechselnden Zeitebenen. Wer hat wen verraten oder aus niederen, egoistischen Gründen im Stich gelassen? "Monströs, herzlos, gemein, niederträchtig" sieht Ruth sich selbst im Rückblick.

Trotz all der Turbulenzen resümiert die Protagonistin, dass es sich um den "sonderbarsten, auf gewisse Weise sogar schönsten Tag meines Lebens" handelt. Und von der verstorbenen Olga erhält sie moralische Rückendeckung: "Schuld bleibt immer, so oder so."

Schuld, Vergebung und eine gehörige Portion Altersweisheit sind die Kardinalthemen dieses großen erzählerischen Kunstwerks, das trotz der teilweise bizarren Erzählperspektive von einem versöhnlichen Grundtenor geprägt ist. Vielleicht das bedeutendste Werk überhaupt in Monikas Marons opulentem Oeuvre.

Monika Maron: Zwischenspiel. S. Fischer Verlag, 191 Seiten, 18,99 Euro.

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